Donnerstag, 30. Dezember 2010

TEIL 1

2. Castoriadis in Griechenland
Die Anfänge des späteren castoriadisschen Denkens – von seinem Interesse für den Marxismus, den deutschen Idealismus und die antike Philosophie über die Auseinandersetzung mit Max Weber, dessen Arbeiten später implizit in den castoriadisschen Bürokratiebegriff einfließen sollten, bis hin zu seiner Beschäftigung mit der Psychoanalyse[1] – lassen sich in seiner Jugend in Griechenland verorten.
Cornelius Castoriadis wurde am 11. März 1922 als Sohn einer griechischen Familie in Istanbul geboren. Er zog aufgrund der besonders problematischen Situation, in der sich die griechische Minderheit im Osmanischen Reiches während der Geburtsstunde der türkischen Republik befand,  mit seinen Eltern – „mein Vater: ein Liebhaber der Bildung, Atheist, Anhänger von Voltaire und fanatischer Königsgegner. Meine Mutter: eine besonders kultivierte Frau, die Musik leidenschaftlich liebte“[2] – nach Athen, wo Castoriadis in bewegten Zeiten, die von der Metaxas-Diktatur, dem Zweiten Weltkrieg und der Besetzung geprägt waren, aufwuchs.
1933 begann Castoriadis sich für Philosophie zu interessieren. Seine Lektüren in der Pubertät reichten von Marx, über Kant, Platon, Cohen, Natorp, Rickert, Lask und Husserl bis hin zu Max Weber. Den letzteren hat er später, im Jahre 1944, als erster ins Griechische übersetzt.[3] Seiner Beschäftigung mit philosophischen Texten folgte die Mitgliedschaft in der kommunistischen Jugend mit fünfzehn Jahren und zwei Jahre später in der kommunistischen Partei(KKE).[4] Jedoch nach nur einjähriger Mitgliedschaft und einem gescheiterten „Reformversuch“ brach er mit der KKE, aber die Erfahrung, die er gemacht hatte, prägte seine politische Laufbahn für immer: „Ich stellte fest, dass die kommunistische Partei über nichts Revolutionäres verfügte und dass es sich lediglich um eine chauvinistische und völlig bürokratische Partei handelte (heutzutage würden wir es eine ‚totalitäre Mikrogesellschaft‘ nennen).“[5]
In der ersten Hälfte der 40er Jahre beteiligte er sich auch am Philosophiearchiv, welches damals einen „zwar konservativen, jedoch besonders kultivierten und gebildeten Teil“[6] der neugriechischen Intellektuellen anzog. In diesem Kreis begann Castoriadis sich für die antike Philosophie zu interessieren, die er in den 1970er Jahren systematisch studiert und sich dabei auf die Genese der antiken Demokratie und ihre Unterschiede zur modernen repräsentativen Demokratie konzentriert hat.
Nach seinem Austritt aus der kommunistischen Partei schloss sich Castoriadis 1942 der trotzkistischen Stinas-Tendenz an, welche dem linken Flügel der griechischen Sektion der IV. Internationale  zuzuordnen ist. Hier las er „Souvarine, Ciliga, Serge, Barmine und natürlich Trotzki selbst“; Bücher, die „den Säuberungen der Diktatur auf wundersame Weise entgangen waren“[7]. Während seiner Mitgliedschaft in der Stinas-Tendenz war er doppelter Verfolgung durch  die Gestapo und die ELAS – die kommunistische Volksbefreiungsarmee – ausgesetzt.[8]
In dieser Zeit entfernte sich Castoriadis durch die Auseinandersetzung mit trotzkistischen Schriften und den stalinistischen Staatsstreichversuch in Athen im Dezember 1944 vom orthodox-trotzkistischen Konzept, das seiner Meinung nach „weder in der Lage war, das Wesen der UdSSR zu erklären, noch das der kommunistischen Parteien.“[9]
In der stalinistischen KKE sah er anders als die Trotzkisten, für die die griechischen Stalinisten eine mit der Bourgeoisie verbündete reformistische Partei darstellten, eine Partei, die „darauf abzielte, die Macht zu ergreifen und ein ähnliches Regime wie in Russland zu errichten“. Auch die Analyse Trotzkis von Russland als „degeneriertem Arbeiterstaat“ lehnte er zugunsten der Auffassung ab, dass die russische Revolution „zur Errichtung eines neuen Typs von Ausbeutungs- und Unterdrückungsregime“ geführt habe, in dem die Bürokratie um die und in der kommunistischen Partei „die neue herrschende Klasse“[10] darstellte.[11]
Nach dem Abschluss eines Philosophie-, Rechtswissenschaften- und Ökonomiestudiums in Athen bekam Castoriadis mit Hilfe des Leiters des Institut Français Octave Merlie ein Stipendium der französischen Regierung und nahm die Gelegenheit wahr, um der stalinistischen Verfolgung zu entkommen. An Bord des neuseeländischen Schiffs Mataora befand sich neben anderen jungen griechischen Intellektuellen – wie Kostas Papaioannou, Kostas Axelos, Mimika Kranaki, Adonis Kirou und Nikos Svoronos – auch der junge Castoriadis, der in Paris promovieren wollte. Seine Promotion, nämlich das Vorhaben, zu beweisen, dass jedes rationalistische philosophische System entweder Widersprüche oder Unmöglichkeiten enthalte, konnte er jedoch nie abschließen: „Mein Ziel war es im Fach Philosophie zu promovieren und ich begann an meiner Doktorarbeit zu arbeiten – ich habe sie zwar nicht zu Ende gebracht, arbeite jedoch weiterhin daran. Irgendwie arbeite ich noch heute daran.“ [12]

3. Socialisme ou Barbarie
Socialisme ou Barbarie war eine linkslibertäre Gruppe, die sich 1949 von der trotzkistischen Bewegung abspaltete und eine gleichnamige Zeitschrift herausgab. Die Gruppe wurde bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1967 nie groß und fand bis Ende der 1950er Jahre außerhalb intellektueller linker Kreise wenig Beachtung. Allerdings schreibt die zeitgenössische Geschichtsschreibung Socialisme ou Barbarie eine wichtige Rolle als Vorläufer des Pariser Mai `68 und als Inspirationsquelle der französischen neuen Linken zu.[13] Im Nachhinein wurde die Gruppe auch bekannt als frühe Heimat – mehr oder weniger – berühmt gewordener Intellektueller wie Cornelius Castoriadis, Daniel Mothé, Claude Lefort, Pierre Souyri, Guy Debord und Jean-François Lyotard.
Als die einzige linke Gruppe in Frankreich, die sich bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit einer Neuorientierung der revolutionären Bewegung widmete, spielte Socialisme ou Barbarie eine wesentliche Rolle bei der Entstalinisierung der Linken[14] - eine äußerst schwere Mission in Frankreich, da die stalinistische PCF („Parti communiste français) als eine der stärksten westlichen kommunistischen Parteien der Nachkriegszeit in der französischen Linken alleine den Ton angab und der Raum für politischen und kulturellen Dissens im Verschwinden begriffen war. Selbst ein Intellektueller wie Jean-Paul Sartre, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, gegen den Strom zu schwimmen, verkündete seine grenzenlose Loyalität zur PCF  sowie UdSSR und nannte ihre Kritiker „klebrige Ratten“.[15]
In der ersten Ausgabe der Zeitschrift schrieb Castoriadis „in einer Mischung aus orthodox-marxistischem Duktus und antiautoritärer Neuorientierung“[16]: „Wenn das scheinbare Ergebnis eines Jahrhunderts proletarischer Kämpfe in der Weise zusammengefasst werden kann, dass das Proletariat die Kämpfe geführt hat, damit eine Bürokratie zur Macht gelangt, die es wie die Bourgeoisie ausbeutet (und noch mehr als sie), dann ist das tiefere Ergebnis dieser Kämpfe in der Klärung zu sehen, die ihre Folge ist. Es ist jetzt objektiv, in materieller und spürbarer Weise für alle Arbeiter deutlich, dass das Ziel der sozialistischen Revolution nicht einfach die Abschaffung des Privateigentums sein kann, […] sondern wesentlich die Beseitigung der festen, unverrückbaren Unterscheidung zwischen Führenden und Ausführenden in der Produktion und im sozialen Leben im allgemeinen.“[17]
Der anfängliche Schwerpunkt der Gruppe war die Erneuerung der marxistischen Theorie anhand der Entwicklung des Kapitalismus – unter anderem der rasante Anstieg der Bürokratisierung, das Verschwinden der konventionellen Arbeiterbewegung und die Wahrscheinlichkeit eines Dritten Weltkriegs. Hastings-King, der an der Cornell-University über die Geschichte von Socialisme ou Barbarie  zwischen 1953 und 1957 als  „a counter-history to fordism”[18] promovierte, schrieb, dass die Gruppe „nicht nur als eine anspruchsvolle Variante des revolutionären Marxismus, sondern auch wegen ihrer Ermittlung der Konvergenz zwischen dem Fordismus und dem Zusammenbruch des marxschen Diskurses und Imaginären“[19] wichtig sei. Socialisme ou Barbarie – selber bestehend aus Marxisten – untersuchte diese Konvergenz und ihre Implikationen.
Castoriadis und Lefort entwarfen den „bürokratischen Kapitalismus“ als einen analytischen Rahmen, in den sowohl die Realsozialismen des Ostens als auch die fordistische sozio-ökonomische und politische Ordnung eingeordnet werden konnten, und konzentrierten sich auf die Bildung einer neuen revolutionären Theorie, in deren Mittelpunkt die Ablehnung jeglicher Bürokratie und die autonome Aktion der Arbeiter standen.
Die vorgenommene Erneuerung des revolutionären Marxismus mündete darin, dass die Gruppe  immer mehr und wichtigere Prämissen der marxschen Theorie für falsch erklärte und mit dem Marxismus endgültig brach.

3.1. Der Bruch mit dem Trotzkismus und die Stalinismuskritik
Castoriadis, seine Erfahrungen in Griechenland und die Schlüsse, die er aus ihnen zog, mitnehmend, trat in Frankreich der trotzkistischen PCI („Parti communiste internationaliste“) bei, die im März 1944 durch die Vereinigung der französischen trotzkistischen Splittergruppen entstanden war.[20] Während der rechte Flügel der PCI ein Bündnis mit „progressiven Tendenzen“ in der PCF und der sozialistischen SFIO („Section française de l’internationale d’ouvrière) anstrebte, distanzierte sich die Mehrheit in der Partei ausdrücklich von jenen Parteien, hielt sich am Übergangsprogramm der IV. Internationale fest und wies jegliche Kritik an Trotzki zurück.[21] Castoriadis, dessen im Entstehen begriffene Theorie des bürokratischen Kapitalismus und Kritik an Trotzkis Analyse der Sowjetunion die meisten Trotzkisten für „Häresie“ hielten,[22] bildete mit Claude Lefort und weiteren einigen Dutzend Personen den kleinen linken Flügel „Chaulieu-Montal-Tendance“.[23]
Die Fraktion vertrat ihre in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen „Johnson-Forest-Tendency“ formulierten Positionen auf dem zweiten Weltkongress der IV. Internationale vom 2. Bis 21. April 1948 in Paris. Diese vom trotzkistischen Mainstream abweichenden Positionen, die vor allem „die russische Frage“ und die Aufgaben der IV. Internationale betrafen, wurden jedoch mehrheitlich abgelehnt und die von Ernest Mandel herausgearbeiteten orthodox-trotzkistischen Positionen setzten sich durch.[24] Dadurch begann die Gruppe um Lefort und Castoriadis, den Glauben an die Reformierbarkeit der trotzkistischen Bewegung zu verlieren.
Nachdem der Austritt aus der PCI im Sommer 1948 bereits beschlossen worden war und nur noch über den günstigsten Zeitpunkt und die näheren Umstände des Austritts diskutiert wurde, „trat, wie durch Zufall, eines jener Ereignisse ein, die eine Sache endgültig besiegeln: der Bruch zwischen Tito und dem Kominform.“[25] Die PCI – wie zahlreiche andere trotzkistische Parteien – schlug der jugoslawischen KP die Bildung einer Einheitsfront vor, obwohl die Parteizeitung über Jugoslawien noch Tags zuvor geschrieben hatte, Jugoslawien sei ein „im wesentlichen kapitalistisches Land“ geblieben.[26] Die Euphorie in der IV. Internationale bezüglich des Konflikts zwischen Tito und dem Kominform ging so weit, dass Pierre Frank, der frisch gewählte Generalsekretär  der IV. Internationale, verkündete, eine stalinistische Partei, die mit Moskau bricht, höre auf, eine stalinistische Partei zu sein.[27]
Schließlich teilte die „Chaulieu-Montal-Tendance“ im Januar 1949 dem Zentralkomitee der Parti communiste internationalist mit, dass sie die Partei verlassen würde. Der Austritt aus der PCI und die Gründung der Socialisme ou Barbarie als eigenständige Gruppe in demselben Jahr bedeuteten einen Bruch nicht nur mit der IV. Internationale, sondern auch mit dem Trotzkismus im Allgemeinen. Ausschlaggebend war dabei nicht nur die „Feind meines Feindes ist mein Freund“-Haltung der IV. Internationale gegenüber der jugoslawischen KP, sondern auch die Sozialismusdefinition des konventionellen Trotzkismus: Während die IV. Internationale die Verwirklichung des Sozialismus am Grad der Verstaatlichung der Wirtschaft messen wollte,[28] legte die Gruppe um Castoriadis und Lefort den Fokus auf die (Basis-)Demokratisierung der Gesellschaft und die autonome Aktion der Massen.
Die orthodox-trotzkistische Position zum Stalinismus basierte auf der von Trotzki geschaffenen Grundlage, die er in die verratene Revolution formuliert hatte. Die UdSSR sei, so Trotzki, ein „degenerierter Arbeiterstaat“, in dem ein Widerspruch zwischen „sozialistischen Grundlagen der Wirtschaft“ und der Bürokratie als „parasitäre[r] Schicht“ herrsche. Der Grund für den „doppelten Charakter“ des Sowjetregimes sei im wirtschaftlichen Entwicklungsniveau des vorrevolutionären Russlands zu finden: „Russland war [vor der Oktoberrevolution] nicht das stärkste, sondern das schwächste Glied in der Kette des Kapitalismus. Die heutige UdSSR übertragt nicht das Weltwirtschaftsniveau, sondern holt erst die kapitalistischen Länder ein.“[29] Daher müsse das Sowjetregime „in all seiner Widersprüchlichkeit nicht als sozialistisches, sondern als vorbereitendes oder Übergangsregime zwischen Kapitalismus und Sozialismus“[30] bezeichnet werden. In diesem „Übergangsregime“ kenne „die Entwicklung Übergänge von Quantität in Qualität, Krisen, Sprünge und Rückstöße. Gerade weil die UdSSR noch längst nicht einmal das erste Stadium des Sozialismus, d.h. ein ausgeglichenes System von Produktion und Verbrauch erreicht hat, verläuft die Entwicklung nicht harmonisch, sondern in Widersprüchen. Die ökonomischen Widersprüche erzeugen soziale Gegensätze, ohne die fernere Entwicklung der Produktivkräfte abzuwarten.“[31]
Auch die Machterlangung der Bürokratie ist aus Trotzkis Sicht ökonomischen Ursprungs, aber da die Produktionssphäre durch sozialistische Merkmale gekennzeichnet sei – mit der Infragestellung des sozialistischen Charakters der Produktionssphäre würde ja jegliche Begründung dafür verschwinden, warum die UdSSR ein „Arbeiterstaat“ sei, wenn auch ein „degenerierter“ – sei die Bürokratie in der Distributionssphäre verwurzelt. Die Grundlage, auf der die Bürokratie entstanden ist, sei die Armut der Gesellschaft an Konsumgütern.[32] Warum Trotzki sich dabei für die Lösung des Bürokratieproblems nicht auf die weitere Entwicklung der Produktivkräfte verlässt, welche den Mangel an Konsumgütern aufheben könnte, sondern von der Möglichkeit für das Proletariat der UdSSR spricht, „sich die Bürokratie zu unterwerfen, die Partei und das Regime der Diktatur zu erneuern, ohne eine neue Revolution, mit den Mitteln und auf den Wegen der Reform“[33], erklärt sich dadurch, dass es sich daran zu zweifeln lasse, ob die Bürokratie, in deren Händen sich Macht und Reichtum konzentriert, gewillt sei, „friedlich in den Sozialismus hineinzuwachsen“[34].   
Im Gegensatz zu Trotzkis Analyse der UdSSR ist für Castoriadis der Stalinismus weder ein politisches Phänomen, das seinen Ursprung nur oder hauptsächlich in der Ökonomie hatte, noch stellt er einen Unfall in der Geschichte dar[35]; vielmehr ist er als ein neues Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem, eine neue geschichtliche Schöpfung zu betrachten.
In der ersten Ausgabe der von Socialisme ou Barbarie herausgegebenen gleichnamigen Zeitschrift, die im März 1949 erschien, stellte Castoriadis fest: „Nie war mehr die Rede von ‚Marxismus‘, von ‚Sozialismus‘, von der Arbeiterklasse und von einer neuen Geschichtsepoche; und nie ist der wahre Marxismus mehr verhöhnt, der Sozialismus verunglimpft und die Arbeiterklasse gerade von denen verkauft und verraten worden, die sich auf sie berufen.“[36] Und  aus castoriadisscher Sicht herrschte in der UdSSR und in ihren Satellitenstaaten ein System, das „ als unablösbar von Konzentrationslagern, der intensivsten Ausbeutung, der schrecklichsten Diktatur, dem grenzenlosen Schwachsinn [erscheint].“[37]
Dieses Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem entstand, so Castoriadis, dadurch, dass in Russland die bolschewistische Macht eine – aus Kadern der bolschewistischen Partei, aus Staats- und Wirtschaftsführern, Technikern, Intellektuellen und Militärs zusammengesetze – allmächtige Bürokratie zur politischen und ökonomischen Macht im Lande erhob.[38]
Während für Trotzki die Verstaatlichung der Produktionsmittel und die Planwirtschaft den Sozialismus ausmachen und die Teilnahme der Arbeiter an der Leitung von Arbeit, Wirtschaft und Politik eine zweitrangige Rolle spielt,[39] definiert Castoriadis die sozialistischen Produktionsverhältnisse nicht über die juridischen Eigentumsformen, sondern über die Machtfrage: „Die Frage, die sich am Tage einer siegreichen Revolution stellt, ist folgende: Wer wird über die Gesellschaft herrschen, die von den Kapitalisten und ihren Instrumenten befreit ist? Die Struktur der Macht, die Form des politischen Regimes, die Beziehungen des Proletariats zu seiner eigenen Führung, die Kontrolle der Produktion und die Verhältnisse in den Fabriken sind nur besondere Aspekte dieses Problems.“[40] Der Erfolg des Sozialismus hängt für Castoriadis in dieser Phase von der Bereitschaft des Proletariats ab, „an der Spitze aller ausgebeuteten Klassen der Gesellschaft […] kollektiv die Leitung der Ökonomie und des Staates zu übernehmen, ohne sie ‚Spezialisten‘, Technikern, ‚Berufsrevolutionären‘ und anderen nicht gerade uneigennützigen Rettern der Menschheit zu übergeben.“[41] Dass in Russland die politische und ökonomische Macht nicht demokratisiert wurde, sondern sich in den Händen der Bürokratie konzentrierte, sei – neben „objektiven Faktoren“ – auch dadurch bedingt gewesen, dass die Bolschewiki-Partei schon lange vor ihrer Machtergreifung auf der leninistischen Konzeption beruhte, wonach alleine die eigene Partei ein revolutionäres Bewusstsein besaß und die Arbeitermassen ohne die Wegweisung der Bolschewiki nicht über tradeunionistische Auffassungen hinaus denken konnten. Die Alleinherrschaft der Bolschewiki führte einerseits dazu, dass „die Parteimitglieder, die sich unkontrolliert und unkontrollierbar fühlten, damit begannen, […] sich Privilegien zu schaffen, und andererseits, dass alle diejenigen, die im Land und im Rahmen der neuen Gesellschaftsorganisation Privilegien hatten, massenhaft in die Partei eintraten, um sie zu verteidigen.“[42] So zählte die bolschewistische Partei schon im Jahre 1923 350.000 Mitglieder, darunter 50.000 Arbeiter und 300.000 Funktionäre.[43]  
Das Resultat dieser Machtübernahme und Entwicklung war ein „totaler bürokratischer Kapitalismus“[44], ein „Gesellschaftsregime“[45], in dem sich die Herrschaft der Bürokratie in einer wertmäßigen Ausbeutung, politischen Unterdrückung und geistigen Versklavung der Bevölkerung äußert, kurz: ein neuer Typus der Klassengesellschaft.
Um den Charakter dieser Klassengesellschaft zu untersuchen, reiche es nicht aus, die juridischen Eigentumsformen zu betrachten, was zahlreiche Marxisten einschließlich Lenin die bürgerlichen Demokratien betreffend mehrmals betont haben; vielmehr müsse man „hinter und durch die juridische Camouflage hindurch schauen“ und die entscheidenden Fragen stellen: Wer verfügt über die Produktionsmittel und wer profitiert davon?[46]
Anhand der Antworten auf diese Fragen, nämlich, dass die Bürokratie die Leitung der Produktion alleine übernimmt und die Verteilung des Sozialproduktes zu ihren Gunsten stattfindet, lasse es sich aufzeigen, dass die Verstaatlichung der Produktionsmittel und die bürokratische Planung der Produktion nicht zur Abschaffung der Ausbeutung und Unterdrückung führten, sondern lediglich ihre Metamorphose hervorriefen.[47]
Die Trennungslinie zwischen Klassen sei dabei – anders als bei Marx – nicht mehr an Eigentumsverhältnisse gekoppelt, sondern eigentlich politischer Natur; die Teilung der russischen Gesellschaft – wie auch derer der „Sattelitenstaaten“ – vollziehe sich nicht in Kategorien „Kapitalisten“ und „Arbeiter“, sondern in „dirigeants“ und „executants“. Später wird Castoriadis behaupten, dass dieselbe Teilung mit dem Anstieg der Bedeutung der Bürokratie auch in westlich-kapitalistischen Gesellschaften die „Idealtendenz“[48] darstelle.
Anders als die meisten Marxisten sieht Castoriadis zwischen dem Entwicklungsgrad der Produktivkräfte und dem politischen System keine Kausalitätsbeziehung: Die „wahren Produktionsverhältnisse“ und die „kapitalistische Technologie“, die sich auch unter der Herrschaft der Bürokratie fortsetzten, seien keineswegs neutral – eine Tatsache, die Marx verkannt habe. Die (Pseudo-)Rationalisierung der Produktion und die Entwicklung der Technologie haben in der UdSSR nicht die Beherrschung der Arbeit durch die arbeitenden Menschen zum Ziel, sondern genau das Gegenteil, nämlich den Ausschluss der Produzenten aus den Entscheidungsprozessen in der Produktion.[49] Die Industrialisierung des Landes, so Castoriadis, führte deswegen nicht zu der erwarteten Befreiung, sondern potenzierte die Macht der Bürokratie. 
Durch die Ausweitung der totalen bürokratischen Herrschaft auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ergebe sich neben der Ausbeutung und Unterdrückung in der Fabrik, die denen im westlichen Kapitalismus gleichen, die weitere Entrechtung der (arbeitenden) Bevölkerung, da sie ihrer politischen, Bürger- und gewerkschaftlichen Rechte  beraubt werde, die in klassisch-kapitalistischen Ländern erkämpft worden sind.[50] Ohne diese Rechte unterliege die arbeitende Bevölkerung einem Überausbeutungsregime, auf dessen Grundlage die bürokratische Herrschaft und die militärische Konkurrenz mit den USA möglich seien: Während die militärtechnologische Produktion gemessen an den produktiven Ressourcen die Wirtschaft drei bis vier Mal so hoch wie in den USA belaste, gleiche das Bruttoinlandprodukt pro Kopf dem Griechenlands und „das Problem, das die Leute schon in der neolithischen Ära gelöst haben“, warte in Russland immer noch auf seine Lösung: die Gewährleistung des Überlebens von einer Ernte bis zur nächsten.[51]
Aber nicht nur die Ausbeutungsverhältnisse gleichen aus castoriadisscher Sicht denen im Westen, sondern auch die Entfremdung der Arbeiter in der Produktion: In beiden Gesellschaftsregimes stehen den Arbeitern weder die Produktionsmittel noch das Produkt ihrer Arbeit zur eigenen, selbstbestimmten Verfügung. Die sowjetische Bürokratie setze für die Steigerung der Produktivität dieselben Mittel wie im Westen ein: Lohnsenkung, Bewertung und Kontrolle jeder Bewegung der Arbeiter, Stück- und Leistungslohn. Im Produktionsprozess herrsche daher – genauso wie im westlichen Kapitalismus – eine Entfremdung.
Hinzu komme, dass das Proletariat im total bürokratischen Kapitalismus – der Möglichkeit des expliziten Kampfes für bessere Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhung beraubt –, so Castoriadis, nur noch einen impliziten Widerstand in der Produktion gegen die Unterdrückung und Ausbeutung unter der Büroktieherrschaft, den Widerstand dagegen, „einfach Räder im Getriebe zu sein“[52], leisten könne.[53] Dieser Widerstand niederschlage sich in einer dauerhaften Produktivitätskrise, welche die sowjetische Gesellschaft sowohl hinsichtlich der Qualität als auch der Quantität der Produktion betreffe.[54]
Von dieser Analyse ausgehend stellt Castoriadis fest, dass die UdSSR und andere Realsozialismen nur zeigen, „was der Sozialismus nicht ist und was er nicht sein kann[55], und dieser Nicht-Sozialismus „ein neues totalitäres Ausbeutungssystem mit der Bürokratie als herrschender Klasse [ist], das man als Marxist ebenso revolutionär zu bekämpfen hatte wie den kapitalistischen Westen“.[56]
In dieser ersten Phase der Gruppe Socialisme ou Barbarie blieb Castoriadis einerseits im „marxistischen Imaginären“ behaftet, andererseits beinhaltet seine frühen Arbeiten die Keime seines späteren Denkens und endgültigen Bruchs mit dem Marxismus: Während die zentrale Stellung der Produktionssphäre in seiner Gesellschaftsanalyse, die „marxistische Untersuchung“ der UdSSR-Wirtschaft und der Anspruch, eine Untersuchung der modernen Gesellschaft nach marxschem Schema durchzuführen, die Momente des ersteren sind, legte er mit der Betonung der großen Wichtigkeit des Politischen und der Festlegung der Autonomie als Ziel – wenn auch noch als die „proletarische Autonomie“[57] – die Grundsteine seines späteren Autonomieentwurfs, welcher über den marxschen Rahmen hinausgeht.  
Begriff Castoriadis seine Klassenanalyse noch als „nichts anderes als die Rückkehr zum wahren Geist der Analysen von Marx“[58], verdeutlicht sein Konzept des bürokratischen Kapitalismus, welches seiner Meinung nach sowohl auf den kapitalistischen Westen als auch auf die realexistierenden Sozialismen des Ostens zutrifft und den Klassenwiderspruch nicht nur in juristischen Formen des Eigentums sah, sondern die Gesellschaft in „dirigeants“ und „executants“ teilte, dass die Machtfrage, welche ihrem Wesen nach keine ökonomische, sondern eine politische ist, und ihre Lösung schon von Anfang an im Mittelpunkt sowohl seiner Analyse als auch seiner Sozialismusvorstellung standen.

3.2. Die Kritik der Bürokratie
In diesem Abschnitt versuche ich darzustellen, wie Castoriadis sich der Bürokratietheorien von Marx und Weber bediente und jedoch ein eigenes Konzept der Bürokratie entwarf, welches über die beiden vorher genannten hinausgeht. Um dies zu ermöglichen, schildere ich kurz die marxschen und weberschen Analysen der Bürokratie und zeige die Überschneidungen zwischen der castoriadischen und den ersteren, aber auch wie Castoriadis über die beiden vorher genannten Theorien hinausgeht, indem er den Bürokratisierungsprozess und die ihm zugrunde liegende „Rationalität“ kategorisch ablehnt und ihnen das Projekt der menschlichen Emanzipation und der Autonomie entgegenstellt.
Erst in der fordistischen Phase des 20. Jahrhunderts wurde die Bürokratie als soziales Phänomen zum großen Thema in sozialwissenschaftlicher Forschung. Jedoch wurde sie auch bereits von Karl Marx thematisiert, auch wenn er dem Phänomen der Bürokratie in seiner Theorie keinen großen Stellenwert zubilligte. Die Bürokratie stellt aus marxscher Sicht eine Form politischer, bürgerlicher Herrschaft neben vielen anderen dar.[59] Vor allem lassen sich in der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, aber auch bereits in der Kritik des Hegelschen Staatsrechts Äußerungen zu diesem Thema finden, welche verdeutlichen, dass die Bürokratie aus Marx‘ Sicht eine Verselbstständigung des Staatsapparats darstellt: „Die Bürokratie gilt sich selbst als der letzte Endzweck des Staats. Da die Bürokratie ihre ‚formellen‘ Zwecke zu ihrem Inhalt macht, so gerät sie überall in Konflikt mit den ‚reellen‘ Zwecken. Sie ist daher genötigt, das Formelle für den Inhalt und den Inhalt für das Formelle auszugeben. Die Staatszwecke verwandeln sich in Bürozwecke oder die Bürozwecke in Staatszwecke. Die Bürokratie ist ein Kreis aus dem niemand herausspringen kann. Ihre Hierarchie ist eine Hierarchie des Wissens.“[60]  
Die in seiner Analyse des Bonapartismus herausgearbeitete Erklärung zur Entstehung der Bürokratie, nämlich, dass die Bourgeoisie ihre unmittelbare politische Herrschaft zugunsten eines autoritären und bürokratischen politischen Regimes aufgibt, das ihre ökonomischen Interessen begünstigt, um in einer Pattsituation des Klassenkampfes ihre soziale Herrschaft aufrechtzuerhalten, hat später marxistische Faschismusanalysen maßgebend geprägt.[61]
Da die Bürokratie aus marxscher Sicht eine politische Erscheinungsform der ökonomischen Klassenherrschaft der Bourgeoisie ist, ist ihre Fortexistenz nach der Abschaffung der Klassengesellschaft, also der ökonomischen Grundlage, auf der die Bürokratie entsteht, für ihn unvorstellbar.
Ähnlich wie Marx aus der Beobachtung des Bonapartismus seine Schlüsse über die Bürokratie zieht, vollzieht sich die Entwicklung der weberschen Bürokratietheorie im Lichte der Ausweitung und des Funktionswandels des Staatsapparats im deutschen Wilhelminismus.[62] Allerdings begründet er die Entstehung der Bürokratie – anders als Marx – nicht als einen Selbsterhaltungstrieb kapitalistischer Herrschaftsstrukturen, sondern sie widerspiegelt für ihn die „Entzauberung der Welt“ und geht mit der fortschreitenden Rationalisierung der Welt einher.
Zwar sieht Weber die Bürokratie „im Kontext der Herausbildung eines rational-legalen Herrschaftssystems […], das sich mit dem westlichen Kapitalismus entwickelt und in der modernen Industriegesellschaft kulminiert“[63], aber die Bürokratie stellt für ihn mehr als nur eine Herrschaftsstruktur dar. Sie wird als Herrschafts-, Organisationsform und politische Kultur zum Wesensmerkmal der Moderne, die aus weberscher Sicht als ein organisatorischer, institutioneller und geistiger Rationalisierungsprozess zu betrachten ist.[64] Er stellt dabei ein „Wechselverhältnis zwischen dominanten Organisationsstrukturen und Subjektprägungen in Politik und Gesellschaft“[65] fest: harte bürokratische Zwangsverhältnisse und weiche Persönlichkeiten komplementieren sich gegenseitig.
Nach Weber ist mit Bürokratie nicht nur der Staat gemeint, sondern dieser Begriff umfasst auch das kapitalistische Wirtschaften: „Ein ‚Betrieb‘ ist der moderne Staat, gesellschaftswissenschaftlich angesehen, ebenso wie eine Fabrik: das ist gerade das historisch ihm Spezifische.“[66]
Obwohl Weber die Bürokratie in ihrer Funktion als Präzisionsmaschine der Herrschaftsausübung – in der Gegenüberstellung zu dem Dilettantismus und der Willkürlichkeit nicht-bürokratischer Verwaltung – positiv bewertet, sieht er in ihr gleichzeitig auch verborgene Gefahren: Der Bürokratie, die sich aufgrund schneller und sachlicher Entscheidungsfindung durchsetze und die notwendige Antwort auf die technologischen und ökonomischen Erfordernisse sei, ohne die Massendemokratie und Kapitalismus nicht funktionieren könnten[67], wohne die Gefahr der Entdemokratisierung inne. Die Bürokratie sei durch ihre äußerste Effizienz fast unzerstörbar und drohe alles zu ersticken.[68] 
Auch der Sozialismus bedeutet für Weber nicht die Abschaffung bzw. Entmachtung der Bürokratie, da „jeder rationale Sozialismus [den Bedarf nach stetiger, straffer, intensiver und kalkulierbarer Verwaltung] übernehmen müsste und steigern würde.“[69] Aus diesem Grund bedinge auch der Sozialismus „die Schicksalhaftigkeit der Bürokratie als des Kerns jeder Massenverwaltung.“[70]
Zwar bezog sich Castoriadis zu Socialisme ou Barbarie Zeiten nie offen auf Max Weber, dennoch gibt es eindeutige Überschneidungen zwischen der weberschen Bürokratietheorie und der castoriadisschen Analyse der modernen Bürokratie und da Castoriadis Weber bereits in seiner Jugend studiert und ins Griechische übersetzt hat, ist es plausibel, davon auszugehen, dass Webers Theorie einer der wichtigsten Ausgangspunkte von Castoriadis‘ Analyse der Bürokratie war.[71]
Auch Castoriadis sieht – wie Weber – die Bürokratie als ein wesentliches Charakteristikum der kapitalistischen Entwicklung. Einerseits bedient er sich dabei der marxschen Theorie der Kapitalkonzentration, andererseits betrachtet er die ökonomischen und politischen Entwicklungen seiner Zeit: die große Weltwirtschaftskrise, den New Deal, die Entstehung des Wohlfahrtsstaats im Westen und die Realsozialismen des Ostens.
Castoriadis beschränkt die Bürokratie – ebenfalls wie Weber – nicht auf die staatliche, sondern bezieht Betriebe, Parteien, Gewerkschaften usw. in seine Bürokratieanalyse mit ein. In allen diesen Bereichen sieht er die „Teilung der Gesellschaft in Klassen […] mehr und mehr in [ihrer] direktesten und ungeschminktesten Form, jenseits aller juristischen Tarnungen, als Problem der Spaltung der Gesellschaft in Leitende und Ausführende“[72] aufkommen.
Mit dem Aufstieg der Bürokratie habe ein neues Stadium des Kapitalismus begonnen, das dem Monopolkapitalismus folge: der bürokratische Kapitalismus. Die Definition des bürokratischen Kapitalismus als eines neuen Gesellschafts- oder Herrschaftsregimes deutet auf das castoriadissche Kapitalismusverständnis nicht als eine ewige Formation, sondern ein dynamisches Gesellschaftssystem, das sich durch die Herausbildung neuer institutioneller Strukturen und Regulationsformen verwandelt und aus diesem Grund sich nicht alleine durch den Gegensatz zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie – oder allgemeiner: durch die gleichbleibenden Rollen verschiedener Klassen in den Produktionsverhältnissen – erklären lässt.[73] „Die wirklich wichtigen Tendenzen der langfristigen Entwicklung des Kapitalismus sind nicht in der eigentlich ökonomischen Sphäre zu finden, und zwar aus einem einfachen Grund. Diese Entwicklung bringt Veränderungen der ökonomischen Strukturen des Kapitalismus mit sich und dadurch auch einen mehr oder minder tiefgreifenden Wandel ökonomischer Gesetzmäßigkeiten.“[74]
Die Bürokratisierung der Wirtschaft sei eine unvermeidliche Folge der Kapitalakkumulation, schrieb Castoriadis Ende der 40er Jahre, und der Aufstieg der Bürokratie zu einer führenden Gesellschaftsklasse erfolge aufgrund der durch die Konzentration des Kapitals unmöglich gewordene Leitung der Produktion durch die Kapitalisten selbst. Erst 1958 wird er diese ökonomistische Sichtweise des Marxismus verwerfen und feststellen, dass die Genese der Bürokratie auf politischem und nicht ökonomischem Wege erfolgte: „Es ist darauf hinzuweisen, dass die Bürokratie den Ausbruch aus den traditionellen Kategorien des Marxismus mit sich bringen muss. Keinesfalls kann man die These vertreten, dass diese neue Gesellschaftsklasse im Rahmen der vorigen Gesellschaft entstanden und gediehen ist. Genauso wenig lässt sie sich auf eine neue Produktionsweise zurückführen, deren Entwicklung mit der Beibehaltung alter Wirtschafts- und Gesellschaftsformen unvereinbar ist. Ganz im Gegenteil ruft sie vielmehr in der betroffenen Gesellschaft eine neue Art der Produktion ins Leben.“[75] Der Bürokratisierungsprozess lasse sich also nicht ausschließlich mit ökonomischen Begriffen erklären.
Den Höhepunkt dieser „direkten und ungeschminkten Trennung“ stellen aus castoriadisscher Sicht die UdSSR und ihre Sattelitenstaaten dar, in denen die staatliche Bürokratie sowohl die Produktionsleitung als auch die Distribution des Sozialprodukts monopolisiere und dadurch ihre Herrschaft auch auf alle anderen Lebensbereiche ausweite. Dabei kennen der staatsgestützte ökonomische Konzentrationsprozess und die Ausbeutung der Arbeitskraft keine Grenzen, was die im klassischen Kapitalismus vorhandenen individuellen Fluchtmöglichkeiten und Nischen sich verflüchtigen lasse. Die ausgebeutete Klasse werde im Osten noch mehr als die westlichen Arbeiter, die über seine Arbeitskraft zumindest juristisch „frei“ verfügen können, auf die Rolle der Ausführenden reduziert. Den Bauern widerfahre in den totalitären Kolchosen dasselbe Schicksal.[76] Der bürokratische Kapitalismus tritt hier nach Castoriadis in seiner konzentrierten Form auf und zeigt sein wahres Gesicht: „fortgeschrittene Barbarei“. Aus diesem Grund bezeichnet er dieses System als „totalen bürokratischen Kapitalismus“.
Castoriadis sieht das Phänomen der Bürokratie, in der sich neue Ausbeutungs- und Unterdrückungsformen verkörpern, nicht auf die Realsozialismen des Ostens beschränkt, sondern dieselbe Logik auch „im Prozess der Stabilisierung des westlichen Nachkriegskapitalismus, in den fordistischen Strukturen, die die 1950er und 1960er Jahre prägen“[77].
Im östlichen „totalen bürokratischen Kapitalismus“ sei die weiteste Entwicklung der Zentralisierungstendenz zu beobachten, welche auch dem westlichen „fragmentierten bürokratischen Kapitalismus“ latent innewohne, nichtsdestotrotz gebe es zwischen den zwei verschiedenen Formen des bürokratischen Kapitalismus – aus der Perspektive der Produktionsverhältnisse gesehen – keinen wesentlichen Unterschied:[78] Die Arbeitsstätten seien im Osten wie im Westen große, hierarchisch strukturierte, unpersönliche Produktionseinheiten; die bis zur Absurdität zerstückelte Arbeit habe für den lohnabhängigen Großteil der Bevölkerung nur noch als Einkommensquelle eine Bedeutung. Dem Prozess der wachsenden Bürokratisierung, die nicht in der Produktionssphäre halt macht, sondern „auf Wirtschaft und Politik übergreift und schließlich alle Bereiche des Lebens erfasst“[79], wohne die Tendenz zum Verschwinden des Öffentlichen inne. Dadurch, dass die Bürokratisierung als „von außen erfolgende ‚Organisation‘ und ‚Rationalisierung‘ kollektiver Unternehmungen die vom Kapitalismus herbeigeführte Zerstörung der Bedeutungen vollendet und massenhafte Verantwortungslosigkeit produziert.“[80] Dies habe den Rückzug des Einzelnen ins Private als Folge.
Der Unterschied zwischen dem westlichen Kapitalismus, den Castoriadis „fragmentierten bürokratischen Kapitalismus“ nennt, und dem totalen bürokratischen Kapitalismus sei, dass im ersteren verschiedene Bürokratien in den Bereichen Staat, Wirtschaft, Kultur und in den großen Interessenverbänden relativ unabhängig voneinander und konkurrierend ihre Macht ausüben, während die Bürokratien des Ostens einen Monopolstatus inne haben.[81] Die politische Herrschaft in den Institutionen der parlamentarischen Demokratie bezeichnet er dabei als eine „liberale Oligarchie“.[82] Die parlamentarische Demokratie sei gar keine, denn „Demokratie bedeutet etymologisch Herrschaft der Massen. […] Wirkliche Herrschaft darf nicht mit Wahlen verwechselt werden. Wahlen, selbst freie, können, und werden in der Regel, Karikaturen von Demokratie sein. Demokratie hat nichts mit dem Recht zu tun, über Nebensächlichkeiten abzustimmen bzw. Personen zu ernennen, die dann aus eigener Machtvollkommenheit und ohne wirksamer Kontrolle zu unterliegen, über die eigentlichen Grundsatzfragen entscheiden. Und Demokratie besteht auch nicht in Apellen an die Menschen, sich für Fragen zu äußern, die ihnen unverständlich sind oder die für sie keine Bedeutung haben. Wirkliche Herrschaft ist die Macht, selbst über Grundsatzfragen zu entscheiden, und zwar in voller Sachkenntnis.“[83]
Auch im westlichen Kapitalismus sieht Castoriadis eine durch die politische Krise, die die Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 begleitete, veranlasste Zunahme der staatlichen Interventionen in die Wirtschaft. Die betroffenen Staaten steigerten ihre Regulierung der Wirtschaft und der Gesellschaft im allgemeinen aus dem Grund, dass die nationalen Schlüsselindustrien zu wichtig waren, einen Schiffbruch zu erleiden. Die offensichtlichste Form der staatlichen Regulierung war die Planung. Jede Art zentralisierte Wirtschaftsplanung ist aus castoriadisscher Sicht vollkommen bürokratisch und markiert den fundamentalen Widerspruch der Bürokratie in der Wirtschaft, indem sie die Preismechanismen des Marktes eliminiert.[84]
In Vorträgen zum „Kapital“, die Castoriadis in Socialisme ou Barbarie-Diskussionstreffen hielt, die zur neuen kollektiven Theoriebildung der Gruppe dienen sollten, entwickelte er die Grundzüge seiner Auffassung des „fragmentierten bürokratischen Kapitalismus“.[85] Demnach seien kapitalistische Firmen als bürokratische Organisationen für sich selbst in sehr hohem Maße intransparent. Die Managementebene müsse ohne genaue Kenntnis ihrer eigenen Produktionsprozesse operieren, da die Trennung in „dirigeants“ und „executants“ jene Kenntnis zu einer Unmöglichkeit mache. Stattdessen werden Marktpreise als zentrale Indikatoren der eigenen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit herangezogen, was aber für die Unternehmen durch Monopolbildung und politische Festlegung auch unmöglich geworden sei. Dies führe zu einem Wachstum der Irrationalität der gesellschaftlichen Gesamtorganisation, da die betroffenen Staaten immer häufiger und zwar mit ähnlich irrationalen Mitteln wie diejenigen, die die Krise ursprünglich verursachten, zu intervenieren versuchen, was letztendlich eine Ausweitung der Krise in das bürokratische politische System bedeute.
Für Castoriadis standen schon zu frühen Socialisme ou Barbarie-Zeiten nicht die Ökonomie oder die ökonomischen Verhältnisse, sondern die gesellschaftlich-geschichtlichen und die gesellschaftlichen Verhältnisse im Mittelpunkt seiner kritischen Analyse. Die konkreten Produktionsverhältnisse hatten aber lange Zeit eine vorrangige Stellung innerhalb gesellschaftlicher Verhältnisse, da er die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus – im Gegensatz zu Marx – nicht in der „Anarchie des Marktes“, sondern in der Pseudo-Rationalität des Produktionsprozesses verortete: Castoriadis sah die bürokratisch-kapitalistischen Verhältnisse durchzogen von einem zentralen Konflikt der Arbeiterschaft zur Logik der auf Fließbandfertigung basierten Massenproduktion, die auf einer von Henry Ford perfektionierten tayloristischen Basis organisiert war. Dieser Konflikt äußere sich in einer informellen Organisation der Arbeiter in der Produktion, mit derer Hilfe die Arbeiter sich gegen die verschärften Ausbeutungsbedingungen wehren, aber gleichzeitig auch die Fehler der bürokratischen Produktionsplanung korrigieren.[86] Durch diese Analyse verließ er den Boden der marxschen Wert- und Kapitaltheorie, „eine[r] fetischistische[n] Werttheorie, eine[r] verdinglichende[n] Auffassung des Verhältnisses zwischen Kapital und Lohnarbeit, die die unvollständige und von permanentem Widerstand begleitete Angleichung der Arbeitskraft an die Warenform mit der definitiven Verwandlung in Ware verwechselt, die den Despotismus der Fabrik der Anarchie des Marktes gegenüberstellt, während die wirkliche Geschichte des Kapitalismus durch wechselnde Verbindungen von Despotie und Anarchie im Rahmen des Betriebs und auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene gekennzeichnet ist.“[87]
Castoriadis behauptete, dass die Herrschaft der kapitalismusimmanenten „Rationalisierungstendenz“, die aufgrund der Unmöglichkeit eines klassenunabhängigen Wissens sowie eines kapitalismusunabhängigen Rationalismus eine Pseudo-Rationalisierung sei, gleichbedeutend sei mit der Bürokratenherrschaft. Die Aufgabe der Leitung und Koordination der Produktion werde nicht in Kooperation, sondern in Konkurrenz und unter Kompetenzgerangel der beteiligten Bereiche abgewickelt. Bürokratie und Hierarchie seien nicht rational (im Sinne der Arbeitenden) auf die Produktionserfordernisse ausgerichtet, sondern führen ein irrationales Eigenleben.[88]
Aus diesem Grund sei der Schlüssel zum Verständnis kapitalistischer Entwicklungstendenzen nicht in „objektiven“ Gesetzen der Ökonomie zu suchen, sondern in „eine[r] spezifische[n] – und auf eine spezifische Weise widersprüchliche[n] – Form der Arbeitsteilung, die ihrer Teilung auf unterschiedliche Träger basiert, andererseits aber die maximal effektive Nutzung der auf subalterne Funktionen beschränkten Arbeitskraft anstrebt.“[89] Die Situation des Menschen im Kapitalismus als Produzent sei widersprüchlich, ja sogar absurd: Die kapitalistische Organisation der Produktion sollte, so Castoriadis, ihre Bedeutung von ihrem Endzweck her beziehen. Doch dieser, „die um ihrer selbst willen angestrebte, zum Selbstzweck gewordene, von allem übrigen losgelöste Steigerung der Produktion“[90] sei vollkommen irrational. Diese Irrationalität durchherrsche den gesamten kapitalistischen Produktionsprozess und dadurch werde der Mensch zu einem Mittel der Produktion und nicht die Produktion zu einem Mittel des Menschen. Alles Rationale, was in diesem Prozess enthalten ist, wird im Dienste eines irrationalen Endzwecks zum Irrationalen. Der Kapitalismus versuche den Menschen in ein  bloßes Produktionsmittel zu verwandeln, das Subjekt zum Objekt zu machen. Aus der Behandlung des Menschen als Ding im Produktionsprozess ergebe sich ein weiterer Widerspruch, nämlich dass der Kapitalismus einerseits seinem „Wesenskern“ nach die Menschen verdingliche, andererseits aber ohne ihre Kreativität und Entscheidungen an der Basis nicht auskommen könnte.[91]

3.3. Sozialismus als autonome Gesellschaft
Schon im programmatischen Gründungstext von Socialisme ou Barbarie stellte Castoriadis fest, dass das marxistisch-leninistische Experiment gezeigt habe, was der Sozialismus nicht ist und was er nicht sein kann. Um das Projekt der menschlichen Emanzipation wiederzubeleben, waren aus seiner Sicht sowohl die Untersuchung der Möglichkeit revolutionärer Politik im bürokratischen Kapitalismus als auch die Definition des positiven Gehalts des Sozialismus unabdingbar.  Durch die Analyse des östlichen „totalen bürokratischen Kapitalismus“ sowie des westlichen „fragmentierten bürokratischen Kapitalismus“ und des Niedergangs der revolutionären Arbeiterbewegung durch deren Bürokratisierung und Integration stand es für Castoriadis fest, dass die konventionellen marxistischen Kategorien für die Bildung einer neuen revolutionären Theorie nicht ausreichend bzw. passend waren.[92]
Die Geschichte der Arbeiterbewegung sei aber nicht nur aus ihrem tragischen Ende heraus zu lesen, sondern beinhalte auch Anknüpfungspunkte für eine neu zu formulierende revolutionäre Theorie und Praxis, die in den historischen Momenten autonomer Aktion der Arbeitermassen zu finden seien: Paris 1871, Russland 1917-1918, Italien 1920, Spanien 1936 und zuletzt Ungarn 1956. Desweiteren untersuchte Castoriadis die konkreten Produktionsverhältnisse, vor allem das alltägliche kollektive Verhalten der Arbeiter, um die Möglichkeit und Aktualität des autonomen Widerstands zu überprüfen, denn der positive Gehalt des Sozialismus war nur ausgehend von der Idee der Autonomie neu zu bestimmen.[93]

3.3.1. Die Krise des Kapitalismus und der implizite Widerstand der Arbeiter
Das Proletariat äußere sich laut Castoriadis im bürokratischen Kapitalismus politisch entweder gar nicht mehr oder nur noch in einer durch bürokratische Gewerkschaften und Arbeiterparteien verstümmelten und entstellten Form. Die Folge davon sei die gesellschaftliche Abwesenheit des Proletariats. Diese Abwesenheit hat für Castoriadis zwei verschiedene Bedeutungen: Einerseits bedeutet es den Sieg des Kapitalismus, die Arbeiter werden aus der Sphäre kollektiven Handelns verdrängt. Der Konsum gewinne im Proletariat an Boden und kompensiere dabei seine Autonomie und den Wunsch nach einer besseren Gesellschaft.[94] Auf den ersten Blick könnte man meinen, so Castoriadis, dass das Proletariat aufgehört habe, eine Klasse für sich zu sein, und nur noch eine Klasse an sich sei, die sich nur durch die Stellung ihrer Angehörigen innerhalb der Produktionsverhältnisse definiert. Andererseits bedeutet es aber auch eine Ablehnung gegenüber bürokratischen Organisationen, welche zu „einer viel grundlegenderen und umfassenderen Kritik kapitalistischer Lebensformen“[95] führen könnte.     
Während für Castoriadis auf der einen Seite die Abwesenheit des Proletariats in der großen Politik steht, steht für ihn auf der anderen Seite „eine bislang unbekannte Intensität“[96] des Klassenkampfs in der Produktionssphäre.
Zum oben beschriebenen (Pseudo-)Rationalismus der kapitalistischen Wirtschafts- und Produktionsweise bilden das autonome Handeln der Arbeiter in der Produktionssphäre und der implizite Kampf der Arbeiter um die Produktionsverhältnisse und Arbeitsbedingungen einen Gegenpol. Während das Management jedes Betriebs versucht, durch bürokratische Planung des Produktionsprozesses die Rolle der Arbeiter auf rein ausführende Funktionen zu begrenzen, bilden die letzteren inoffizielle Elementargruppen, die gesellschaftlichen Grundeinheiten der Fabrik, die ihre Verdinglichung bekämpfen. Die Fabrikarbeit – durch den Taylorismus und die direkt oder indirekt von ihm abgeleiteten Methoden zerstückelt in einzelne, voneinander unabhängige Vorgänge – verstümmele den Produzenten und verwandle ihn in einen „Teilmenschen“. Der Mensch werde zwangsläufig zum Mittel zum Zweck namens Produktion.  
Zwar thematisierte auch Marx die Entfremdung in der Produktionssphäre, aber legte seinen Fokus vielmehr auf das ökonomische Ausbeutungsverhältnis. In der castoriadisschen Analyse nehmen die Entfremdung und der Kampf gegen sie eine zentrale Rolle ein. Als er Ende der 1950er Jahre versuchte Sozialismus als autonome Gesellschaft neu zu definieren und dabei zentrale Elemente der marxschen Theorie – wie den historischen Materialismus und die Werttheorie – ausdrücklich kritisierte, bezeichnete er die marxsche Betonung der Entfremdung in der kapitalistischen Fabrikarbeit als „philosophisch“ und „abstrakt“, da der von Marx gesehene Widerspruch nur „das Schicksal des Menschen in der Produktion und nicht die Produktion selbst“[97] betreffe. Die „Rationalisierung“ werde von Marx positiv, als eine historische Entwicklung gesehen, die im Rahmen der historischen Gesetze zur Entstehung des Sozialismus führt. Und solange die kapitalistische „Rationalisierung“ der Produktion bejaht werde, bleibe der von Marx attestierte Widerspruch, der „sich durch Unterwerfung der lebendigen unter die tote Arbeit [vollzieht, und bedeutet], dass die Produkte menschlichen Handelns den Menschen beherrschen“[98], auch deswegen rein „philosophisch“, weil man nichts dagegen machen kann. Schon die Bezeichnung der Arbeit als „Reich der Notwendigkeit“ drückt für Castoriadis aus, dass das marxsche Emanzipationsprojekt durch die Verkürzung des Arbeitstages und die Beseitigung des kapitalistischen Marktes den Menschen nur „außerhalb der Produktion“[99] zu befreien versucht.
Doch stellt der Sozialismus für Castoriadis eine radikale Demokratisierung aller gesellschaftlicher Strukturen und Verhältnisse dar und dies beinhaltet auch die der Produktionsverhältnisse. Der implizite Widerstand der Lohnabhängigen gegen den Kapitalismus markiert dabei die Kontinuität des Kampfes trotz des Scheiterns der historischen Arbeiterbewegung und überhaupt die Möglichkeit des Widerstands gegen den bürokratischen Kapitalismus.
Elementargruppen, die sich „auf dauerhaften, direkten Kontakt der Beteiligten und die wechselseitige Abhängigkeit ihrer Aufgabenbereiche“[100] gründen und eine in der Regel kleine Zahl von Personen umfassen, leisten dabei nicht nur Widerstand gegen den Leistungsdruck aufgrund fortschreitender „Rationalisierung“ der Produktion, die sich in „minutiöse[r] Regelung der Beziehung des individuellen Arbeiters zur Maschine oder zu dem Abschnitt des Gesamtmechanismus, in dem tätig ist“[101] ausdrückt und durch die die Arbeit „auf eine Abfolge sinnentleerter, in rasender Geschwindigkeit ausgeführter Bewegungen reduziert [ist], in deren Verlauf die Ausbeutung und Entfremdung des Arbeiters tendenziell ständig zunehmen“[102], sondern sie korrigieren auch ständig die Fehler der bürokratischen Verwaltung, wodurch der Betrieb trotz der der Ausführung äußerlichen Leitung überhaupt funktionsfähig sein kann.
Die Elementargruppen sind dabei nicht die eigentliche Organisationsform der Arbeit. Sie existieren vielmehr neben und im Kampf mit der formellen Organisation. Da die formelle Organisationsform, also der bürokratische Leitungsapparat, beansprucht, die einzige bzw. die einzig legitime Organisationsform des Unternehmens, die einzige Quelle der Ordnung zu sein, muss sie versuchen, die Arbeiter und ihre Elementargruppen zu entmachten, „die Menschen in Punkte auf einem Organigramm zu verwandeln“[103]. Da aber die formelle Organisation nach unten „undicht“ ist, die große Masse der „Ausführenden“ nicht integrieren kann und die informelle nach oben hin blockiert ist, kann dieser Konflikt innerhalb des kapitalistischen Unternehmens nicht wirklich gelöst werden. Die bürokratisch ausgearbeiteten Produktionspläne bedürfen der Korrektur durch die Arbeiter, also ihres kollektiven Agierens und ihrer Kreativität, damit sie der Realität entsprechend umgesetzt werden kann. Das Resultat ist ein nicht zu beendender Kampf, welcher dem Kapitalismus innewohnt.
Es gelingt dem Kapitalismus, so Castoriadis, die „Ausführenden“ fast und in tendenziell zunehmendem Maße in ein Produktionsmittel zu verwandeln, was ihm nicht ganz gelingt und auch nicht gelingen kann, weil das Endergebnis dieser kapitalismusimmanenten Tendenz auch dessen Ende bedeuten würde. Dieser Widerspruch, der kein „philosophischer“, sondern ein handfester, tagtäglich konkret erfahrbarer ist, ist aus castoriadisscher Sicht nicht nur in der Produktionssphäre, sondern auch in den Bereichen Politik und Kultur „in nahezu identischer Form“[104] präsent: Der Kapitalismus ist gezwungen, die Menschen ständig zur aktiven Beteiligung am gesellschaftlichen Leben aufzufordern, und gleichzeitig bestrebt, diese Beteiligung unmöglich zu machen. „Die kapitalistische Gesellschaftsordnung ist genau in dem Sinne widersprüchlich, wie es das Verhalten eines Neurotikers ist: Sie kann nur versuchen, ihre Absichten durch Taten zu verwirklichen, die diese Absichten  ständig durchkreuzen.“[105] Hier verortet Castoriadis die Quelle der dauerhaften Krise des Kapitalismus: „Dieser Widerspruch stellt das grundlegende Faktum, den Kern des Kapitalismus als gesellschaftliches Verhältnis dar.“[106]

3.3.2. Die Neudefinition des Sozialismus
Die Verortung des Grundwiderspruchs des Kapitalismus zwischen der Tendenz, aus dem Menschen, dem Subjekt, ein Objekt – ein „Produktionsmittel“ zu machen, und die Angewiesenheit des kapitalistischen System auf die Nicht-Vollendung jener Tendenz bringt mit sich eine Neudefinition des Sozialismus als autonome Gesellschaft, welche die Aufhebung jenes Widerspruchs bedeutet.
Die Verschiebung des Fokus der Theorie von der Ökonomie auf das politisch definierte Herrschaftsverhältnis macht es unmöglich, die gesellschaftliche Transformation als nur eine Folge des ökonomischen Wandels durch die Abschaffung des Privateigentums zu begreifen. Die Aufhebung des Widerspruchs zwischen der bürokratischen Leitung und der Ausführung durch „executants“ ist für Castoriadis Synonym mit der autonomen Organisierung aller Lebensbereiche und der Abschaffung jeglichen externen Herrschaftsapparats.[107] Dies bedeutet neben der Abschaffung aller althergebrachter Organisationen und Verhältnisse auch die Suche nach neuen Organisationsformen und  –prinzipien, die die Aufhebung der Unterscheidung zwischen „dirigeants“ und „executants“ ermöglichen würden.
Exemplarisch steht dafür die Aufsatzreihe „Über den Inhalt des Sozialismus“, die zwischen 1955 und 1958 in Socialisme ou Barbarie erschien und Castoriadis‘ endgültigen Bruch mit dem Marxismus markierte. In diesen Schriften gelangt Castoriadis über die Kritik der Bürokratie zur Idee der „proletarischen Autonomie“: Die sozialistische Revolution sei dabei „weder zwangsläufiges Resultat der historischen Entwicklung noch die Vergewaltigung der Geschichte durch eine Partei von Übermenschen, noch die Anwendung eines Programms, das sich aus einer an sich richtigen Theorie ableitet“, sondern ihr Erfolg hänge von der „Freisetzung des schöpferischen Handelns der unterdrückten Massen“[108] ab.
Der Sozialismus könne dabei als die Permanentisierung der temporären Autonomie der Massen verstanden werden, die in historischen Momenten wie Revolutionen zu Tage tritt. Zwar ist Castoriadis der Meinung, dass man diese Autonomie nicht nur durch die Schaffung bestimmter Strukturen gewährleisten kann, benennt aber trotzdem konkrete Prinzipien und mögliche Mechanismen autonomer gesellschaftlicher Organisation: „Es kann hier nicht darum gehen, ‚Statuten‘ für eine sozialistische Gesellschaft zu verfassen. Es versteht sich von selbst, dass Statuten als solche noch gar nichts besagen. Die besten Statuten taugen nur insofern etwas, als die Menschen permanent bereit sind, das, was an ihnen richtig und vernünftig ist, zu bewahren, Fehlendes zu ergänzen und Unangemessenes und Überholtes zu ändern.“
Der castoriadissche Sozialismus, der nichts anderes ist als die Durchdemokratisierung aller Gesellschaftsbereiche, ist also einerseits die Schaffung neuer gesellschaftlicher Strukturen, die zwar alleine weder eine „autonome Gesellschaft“  ins Leben rufen noch ihr Fortbestehen als solche garantieren könnten, aber eine Grundlage für eine demokratische Gesellschaft wären, und andererseits die Beteiligung der Massen an demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen: „Die Verwirklichung des Sozialismus ist keine Frage von Gesetzesänderungen. Sie hängt vom autonomen Handeln der Arbeiterklasse ab, von ihrer Fähigkeit, aus sich selbst heraus das Bewusstsein für die notwendigen Mittel und Ziele, die notwendige Solidarität und Entschlossenheit zu entwickeln.“[109]
Die Rätedemokratie, welche sowohl die Produktionssphäre als auch alle anderen Gesellschaftsbereiche umfassen soll, stellt für Castoriadis die Lösung der Strukturfrage dar, da Räte Institutionen seien, die zwar keine Wunder bewirken und kein Ausdruck der Arbeiter sein können, „wenn diese nicht gewillt sind, sich [ihrer] als Mittel zu bedienen“[110], seien aber im Gegensatz zum Parlament, das per definitionem nicht sozialistisch sein kann, da es die Unterscheidung zwischen „dirigeants“ und „executants“ bedinge und reproduziere: „Der Rat ist dazu geschaffen, die Arbeiter zu repräsentieren, kann aber aufhören, diese Funktion zu erfüllen. Das Parlament ist dazu geschaffen, die Massen nicht zu repräsentieren, und diese Funktion zu erfüllen wird es niemals aufhören.“[111]
Die Autonomie, die von den Räten verkörpert werden soll, fußt auf drei wesentlichen Prinzipien: Die demokratischen Institutionen sollen einfach, transparent und kontrollierbar sein; den Zentralisierungs- und Bürokratisierungstendenzen soll mit permanenter unmittelbarer Partizipation der Menschen begegnet werden; und eine möglichst herrschaftsfreie Kommunikation soll den einwegigen Informationsfluss von unten nach oben ersetzen.
Die Partizipation der Bürger in demokratischen Prozessen hängt davon ab, so Castoriadis, dass „jeder nicht nur weiß, sondern auch spürt, dass seine Teilnahme etwas bewirkt, mit anderen Worten, das konkrete Leben der Gemeinschaft weitgehend von dieser Gemeinschaft selbst abhängt und nicht von unbekannten, außer Reichweite befindlichen Instanzen, die für sie entscheiden.“[112] In die Sprache der Machtverteilung übersetzt heißt dies, dass alle Institutionen nachvollziehbar sind, von der Basis kontrolliert werden können und die Basiseinheiten gegenüber Zentralinstanzen über ein Maximum an Autonomie verfügen müssen.
Die Existenz der Gesellschaft als ein Ganzes bedarf laut Castoriadis der Zentralisierung der Fragen, die nicht von einzelnen Basiseinheiten gelöst werden können, denn erst durch Zentralinstanzen können die Basiseinheiten in ein gesellschaftliches Ganzes integriert werden. Das Schicksal der Demokratie hänge dabei nicht von der Zentralisierung an sich ab, sondern der Herausbildung „getrennter und unkontrollierbarer Apparate, zu deren ausschließlichem und spezifischem Aufgabenbereich die Zentralisierung gehört.“[113] In anderen Worten: Die Verselbstständigung eines zentralen Herrschaftsapparats ist gleichbedeutend mit der Entstehung und Machtergreifung der Bürokratie und der Rückkehr in die Klassengesellschaft.
Um die Entstehung der Bürokratie zu verhindern, müsse der Informationsfluss umorganisiert werden, der in einer Gesellschaft, in der der Bevölkerung die politische Macht entzogen und auf einen zentralen, der Gesellschaft äußerlichen Herrschaftsapparat übertragen ist, von unten nach oben stattfindet, d.h. die Kommunikationswege von unten nach oben ausschließlich Informationen und von oben nach unten ausschließlich Entscheidungen transportieren.
Während der Herrschaftsapparat – die „Spitze“ – ein Maximum an Informationen braucht, um Entscheidungen treffen zu können, wird der Mehrheit der Gesellschaft das Wissen über die „Gesamtheit“ entzogen. Der Informationsfluss von oben nach unten beschränkt sich auf ein Minimum, das den unmittelbaren Zuständigkeitsbereich der Empfänger nicht überschreitet und notwendig ist für die Ausführung der von der „Spitze“ getroffenen Entscheidungen. Das Monopol auf Wissen ist, so Castoriadis, eine Grundvoraussetzung des Machtmonopols. Aus diesem Grund ist die Demokratisierung des Informationsflusses unabdingbar für die Demokratisierung der Gesellschaft: An die Stelle der einwegigen sollen in beide Richtungen verlaufende Kommunikationsströme treten, so dass die Zentralinstanzen – einschließlich der Regierung – statt eigenhändig Entscheidungen zu treffen, die von der Basis übermittelten Informationen zu sammeln und an die Gesamtheit der Basisorgane weiterleiten. Dies – kombiniert mit weitreichender Machtbefugnisse der Basisorgane – ermögliche einen direktdemokratischen Verlauf der Entscheidungsfindungsprozesse.[114]
Castoriadis behauptet, dass der Marxismus keine Lösung für diese Fragen bieten kann, weil er im Laufe seiner Entwicklung zu sehr dem enormen Druck durch „die Ideologie der Ausbeutungsgesellschaft, die Last traditioneller Einstellungen, die Schwierigkeit, sich von überlieferten Denkweisen zu befreien“[115], ausgesetzt war. Schon Marx war dem historischen Erbe des Bürgertums verpflichtet, so Castoriadis, und mit den nachfolgenden Marxistengenerationen nahm der Einfluss der „bürgerlichen Tradition“ zu. Die Betrachtung des Menschen als homo oeconomicus stehe beispielhaft dafür, wie sehr die Ausbeutungsgesellschaft ihren Einfluss im Marxismus und durch den Marxismus in der proletarischen Bewegung geltend machen konnte.
In der „Kritik des Gothaer Programms“ unterscheidet Marx zwischen dem eigentlichen Kommunismus, in dem das Prinzip „jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ gelten würde, und der nachrevolutionären Gesellschaft – der „ersten Phase des Kommunismus“, in der es noch um Mangelwirtschaft und bürgerliches Recht handeln würde. „Bürgerliches Recht“, so Marx, bedeute gleiche Bezahlung für die gleiche Menge und Qualität an Arbeit, was letztendliche ungleiche Bezahlung aufgrund physischer und geistiger Unterschiede mit sich bringt.[116] Genau dieses „bürgerliche Prinzip“, nämlich die Vorstellung, dass die Mangelwirtschaft sich durch die Leistungssteigerung aufheben lasse, die durch die Wirkung des „Leistungslohns“ auf die homines oeconomici hervorgerufen würde, ist nicht ein Teil der Lösung, sondern des Problems: „Die traditionellen Lösungen sind insofern effizient […], als sie in effizienter Weise zum traditionellen Zustand [zurückführen], d.h. die Ausbeutung in neuen Formen [wiederherstellen].“[117]
An dieser Stelle sei vielmehr ein Bruch mit den überlieferten Denkformen notwendig: Der homo oeconomicus, in dem sich das bürgerliche Individuum widerspiegelt, muss dem nicht-bürgerlichen Menschen Platz machen. Dafür fordert Castoriadis die Einführung absoluter Lohngleichheit, die gleichzeitig als essentielle anti-hierarchische Maßnahme dienen soll. Dadurch würden nicht nur unzählige Konflikte gegenstandslos gemacht, sondern diese Maßnahme sei auch für die Demokratie von entscheidender Bedeutung, da sie jedem Individuum das gleiche Votum als Konsument garantiere.[118]
Viel wichtiger als die „Leistungssteigerung“ ist aus castoriadisscher Sicht die Transformation der Arbeit im Sozialismus. Diese Transformation müsse sowohl das Wesen als auch den Inhalt der Arbeit umfassen und die Bedürfnisse des Menschen nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Produzenten betreffen. Die Teilung in „dirigeants“ und „executants“ würde durch die Demokratisierung der Arbeit aufhören zu existieren, während die Arbeitsteilung Stück für Stück abgetragen würde.
Außerdem müsse die gesamte Technikentwicklung und der Einsatz der Technik in der Produktion radikal umgewälzt werden, denn die Technologie im Kapitalismus ist nicht klassenneutral oder per se rational, so Castoriadis, sondern kapitalistisch. Ihr Zweck bestehe nicht darin, „dem Menschen bei der Beherrschung seiner Arbeit zu helfen, sondern […] das genaue Gegenteil zu bewirken.“[119] Aus diesem Grund spiele die bewusste und radikale Umwälzung der bestehenden kapitalistischen Technologie eine der zentralen Existenzbedingungen des Sozialismus im Sinne einer autonomen Gesellschaft.
Der castoriadissche Sozialismusentwurf der 50er Jahre stellt kein fernes Fertigmodell dar, sondern er ist als gleitenden, kompromissbereiten Suchprozess zu sehen. Da Castoriadis der Meinung war, dass es keinen Bereich gibt, in dem sich nicht das heteronome Wesen der kapitalistischen Rationalität durchsetzt, kann man mit ihm argumentieren, dass das in gewisser Weise auch auf die revolutionäre Theorie im allgemeinen und auf den castoriadisschen Versuch im speziellen auch zutrifft. Castoriadis‘ Versuch, den positiven Inhalt des Sozialismus zu definieren, muss daher, trotz seiner Sozialismusdefinition als das durch die schöpferische Tätigkeit der Menschen entstehende historisch Neue, muss ein Versuch bleiben, der sich in der gegenwärtigen – kapitalistischen – Rationalität ausdrückt. Dieses Problem versucht Castoriadis zu lösen, indem er einerseits die Quellen des Sozialismus in den bereits existierenden Erscheinungen und Tendenzen autonomen Agierens zu suchen, andererseits die revolutionäre Theorie als eine Begleitung zur Praxis zu definieren.[120]
Mit dem Versuch, den positiven Gehalt des Sozialismus neu zu definieren, machte Castoriadis die ersten konkreten Schritte seines Autonomieentwurfs. Allerdings veränderte sich dieser Entwurf an grundlegenden Punkten: Zuerst verließ Castoriadis in den 60er Jahren den Boden des auf das Proletariat als die „revolutionäre Klasse“ beschränkten Denkens und baute seine Theorie die „neuen Bewegungen“ umfassend aus. Und schließlich verwarf er 1979 den Begriff „Sozialismus“ aufgrund der Bedeutung, die „Sozialismus“ im historischen Sprachgebrauch erlangt hatte[121], und seiner gefährlichen semantischen Zweideutigkeit, die „in der bürgerlichen Philosophie und Ideologie, in der von ihr geschaffenen falschen Problemstellung“ befangen bleibt, indem er „ein materielles, substantielles, ‚werthaltiges‘ Primat der Gesellschaft über das Individuum zu postulieren“ scheint. So wird der Sozialismus als Begriff „zum ideologischen Deckmantel des Totalitarismus und nährt, im Gegenzug, einen Pseudo-‚Individualismus‘ oder ‚Liberalismus‘.“[122]  

3.4. Die Suche nach dem „revolutionären Subjekt“
Obwohl Castoriadis‘ Marxismuskritik und die Organisationsdebatte[123] innerhalb von Socialisme ou Barbarie zu heftigen Diskussionen führt und knapp die Hälfte der Gruppe – einschließlich Claude Lefort – infolge dieser Diskussionen austritt, übt die Gruppe eine große Anziehungskraft auf das langsam entstehende Milieu der „Neuen Linken“ und wächst fast auf 100 Mitglieder, von denen die meisten durch die Regierungsübernahme de Gaulles und den Algerienkrieg desillusionierte Studenten sind.[124]
Einerseits die nachträgliche Legitimierung der Machtübernahme de Gaulles durch das Verfassungsreferandum im Jahre 1958[125], vor allem die breite Zustimmung, die er bei den Arbeitern erhält, und die allgemeine Passivität der Arbeiterklasse, andererseits die jungen Mitglieder, die einen Großteil von Socialisme ou Barbarie ausmachen, führen dazu, dass die Gruppe sich immer mehr mit neuen Themen auseinandersetzt: nicht auf Klassenzugehörigkeit basierende Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen wie der Schwarzen in den Vereinigten Staaten, der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung und der Generationenkonflikt zwischen der Nachkriegsgeneration und ihrer Elterngeneration nehmen immer mehr Platz in den Diskussionen und der Zeitschrift. Die Entstehung einer neuen linken Jugendkultur, die mit 1968 zu einem großen Massenphänomen werden wird, die „Internationale Situationniste“ etc. und Socialisme ou Barbarie prägen sich in dieser Zeit gegenseitig.
In „die revolutionäre Bewegung im modernen Kapitalismus“ stellt Castoriadis den Marxismus als revolutionäre Theorie grundsätzlich und noch offensiver als zuvor in Frage: Mit dem steigenden Lebensstandard und der damit verbundenen Explosion des Massenkonsums scheint in dieser Zeit die Arbeiterklasse politisch sowie sozial weitgehend integriert zu sein, bis auf einzelne Ausnahmen verhält sie sich konform mit der Konsumgesellschaft.[126] Aufgrund dieser Entwicklungen fordert Castoriadis eine politische Öffnung zu neuen sozialen Bewegungen und die entsprechende thematische Erweiterung der Schwerpunkte von Socialisme ou Barbarie. Vor allem in dem Generationenkonflikt der 60er Jahre sieht Castoriadis eine neue soziale Entwicklung: „Der Bruch zwischen den Generationen und die Jugendrevolte in der modernen Gesellschaft sind nicht vergleichbar mit dem ‚Generationenkonflikt‘ früherer Zeiten. Die Jungen lehnen sich nicht gegen die Erwachsenen auf, weil sie deren Platz in einem anerkannten und für gut befundenen System einnehmen möchten, sie verweigern sich diesem System und den Werten, die es vertritt. Die heutige Gesellschaft verliert ihre Macht über die nachwachsenden Generationen.“[127] Die revolutionäre Bewegung könne, so Castoriadis, der Revolte der Jugend helfen, sich eine positive Richtung und einen konkreten Inhalt zu geben, wenn es ihr gelinge, eine neue Sprache zu entwickeln und den Jugendlichen wirksame Aktionsformen gegen eine Welt zu zeigen, die sie zurückweist.
Gleichzeitig mit dem Marxismus verwirft Castoriadis auch die Idee, die Arbeiterklasse sei der historische Träger der sozialistischen Revolution, deklariert, dass das revolutionäre Subjekt überall zu suchen sei, wo die Menschen für ihre Emanzipation einsetzen.
Die Aufgabe der Vorstellung eines auf die Arbeiterklasse beschränkten revolutionären Subjekts löst heftige Diskussionen in Socialisme ou Barbarie aus. Viele der älteren Mitglieder der Gruppe kritisieren Castoriadis‘ Bemühungen um eine Neuorientierung und die Kluft zwischen ihnen und denjenigen Mitgliedern um Castoriadis, die revolutionäre Ansatzpunkte in den neuen sozialen Bewegungen sahen, ist nicht mehr zu schließen. Auf die Neuorientierung folgt 1963 die Spaltung. 1967 initiiert Castoriadis die Auflösung von Socialisme ou Barbarie, ausschlaggebend ist, dass die Zeitschrift in dieser Zeit zwar die größte Außenwirkung erzielt, aber die Adressaten sich als passive Konsumenten verhalten.[128]


[1] Schon 1933, als bei seiner Mutter die ersten Symptome der Schizophrenie erschienen, begann Castoriadis sich für Psychoanalyse zu interessieren. 
[2] Του Κορνήλιου Καστοριάδη, Είμαστε υπεύθυνοι για την ιστορία μας, Εκδόσεις Πόλις, S. 40. Zitiert nach: Tassis, Theofanis: Cornelius Castoriadis. Eine Disposition der Philosophie. Unveröffentlichte Dissertation, Berlin 2007, S. 9.
[3] Castoriadis‘ Übersetzung und Kommentierung der „Soziologischen Grundbegriffe“ aus Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“ erschienen in der Zeitschrift Arxeio koinoniologias kai ithikis (Archiv für Soziologie und Ethik) Nr. 2/1944 und wurden mit anderen Aufsätzen 1988 unter dem Titel „Protès Dokimès“ („Erste Versuche“) neu publiziert.
[4] Castoriadis erinnert sich an diese Zeit mit folgenden Worten: „Generell war ich ein frühreifes, ein lächerlich frühreifes Kind. Ich sage dies, weil auch wenn es unglaublich erscheinen mag, mein Interesse für die Philosophie mit elf, zwölf Jahren begann. Damals las ich zum ersten Mal philosophische Texte und wurde sehr schnell zum Marxismus geführt. Ich muss sagen, dass ich schon im jungen Alter doppelt polarisiert war. Einerseits war ich sehr an Philosophie interessiert; andererseits interessierte ich mich für die politische Aktivität und den sozialen Wandel. Diese doppelte Polarisierung sollte meine ganze spätere Entwicklung wesentlich prägen. Heute bin ich irgendwie immer noch so. Ich interessiere mich hauptsächlich für das Denken, aber gleichzeitig interessiere ich mich für die Entwicklung der Gesellschaft und den Versuch einer freieren und gerechteren Gesellschaft.“  Του Κορνήλιου Καστοριάδη, Είμαστε υπεύθυνοι για την ιστορία μας, Εκδόσεις Πόλις, S. 40. Zitiert nach: Ebd.
[5] Castoriadis, Cornelius: Der Anstieg der Bedeutungslosigkeit. S. 17. In: ders.: Autonomie oder Barbarei. Ausgewählte Schriften Band 1. Lich(Hessen) 2006, S. 17-41.
[6] Tassis, Theofanis: Cornelius Castoriadis. Eine Disposition der Philosophie. S. 10.
[7] Castoriadis, Cornelius: Der Anstieg der Bedeutungslosigkeit. S. 17.
[8] Zwischen 1942 und 1945 wurde fast die ganze griechische Sektion der IV. Internationale von den Besatzungsmächten oder der kommunistischen ELAS umgebracht. Günter Bartsch schätzt die Zahl der umgebrachten Mitglieder auf 10 000. Vgl. Bartsch, Günter: Trotzkismus als eigentlicher Sowjetkommunismus? Die IV. Internationale und ihre Konkurrenzverbände. Berlin, Bonn 1977, S. 60.
[9] Castoriadis, Cornelius: Der Anstieg der Bedeutungslosigkeit. S. 17.
[10] Ebd. S. 18.
[11] Auch Agis Stinas schreibt in seinen Memoiren, dass Castoriadis diese Thesen bereits 1945 formulierte. Vgl.   Stinas, Agis: Revolutionary defeatists in Greece in World War II. Some introductory texts and selected highlights from: Memoirs – Sixty years under the Flag of Socialist Revolution. In: http://www.reocities.com/antagonism1/stinas/StChap6.html#_Toc52960212 (23.06.2010). 
[12] Κορνήλιος Καστοριάδης, Είμαστε υπεύθυνοι για την ιστορία μας, Εκδόσεις Πόλις, 2000, S. 41-42. Zitiert nach: Tassis, Theofanis: Cornelius Castoriadis. Eine Disposition der Philosophie. S. 14.
[13] Gabriel und Daniel Cohn-Bendit wiesen schon während des Pariser Mai darauf hin, dass ihre politischen Vorstellungen „sich unter anderem auf die Thesen gründen, die Chalieu [d.i. Castoriadis] Daniel Mothé und Lefort […] in der Zeitschrift Socialisme ou Barbarie vertreten haben. […] Wir sind nur Plagiatoren der revolutionären Theorie und Praxis der letzten fünfzig Jahre, die in der einen oder anderen Weise durch diese Zeitschriften vermittelt wurden.“ [Cohn-Bendit-Brüder nennen - neben Socialisme ou Barbarie – auch „Internationale Situationiste“, „Informations et Correspondences Ouvrières“ und „Noir et Rouges“.] Cohn-Bendit, Gabriel; Cohn-Bendit, Daniel: Linksradikalismus. Gewaltkur gegen die Alterskrankheit des Kommunismus. Hamburg 1968, S. 19. Vgl. auch Gilcher-Holtey, Ingrid: „Die Phantasie an Macht“. Mai 68 in Frankreich. Frankfurt a.M. 1995, S. 47-63.
[14] Vgl. Khilnani, Sunil: Arguing Revolution. The Intellectual Left in Postwar France. New Haven 1993, S. 127.
[15] Vgl. Sartre, Jean-Paul: Die Kommunisten und der Frieden. In: ders.: Krieg im Frieden 1: Artikel, Aufrufe, Pamphlete 1948-1954. Hamburg 1982, S. 75-301. Für die diesbezügliche Auseinandersetzung von Socialisme ou Barbarie mit Sartre, siehe: Castoriadis, Cornelius: Sartre, Stalinism, and the Workers. In: Curtis, David Ames (Hrsg.): Cornelius Castoriadis. Political and Social Writings. Volume 1, 1946-1955: From the Critique of Bureaucracy to the Positiv Content of Socialism. Minneapolis 1988, S. 207-241. Und auch: Lefort, Claude: Der Marxismus und Sartre (1952). In: Sartre, Jean-Paul: Krieg im Frieden 2: Reden, Polemiken, Stellungnahmen 1952-1956. Hamburg 1982, S. 78-105.
[16] Wolf, Harald: „Die Revolution neu beginnen.“ Über Cornelius Castoriadis und „Socialisme ou Barbarie”. S. 78. In: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, Nr. 15 (1998), S. 69-112.
[17] Castoriadis, Cornelius: Sozialismus oder Barbarei (1949). S. 84. In: ders.: Sozialismus oder Barbarei. Analysen und Aufrufe zur kulturrevolutionären Veränderung. Berlin 1980, S. 53-90.
[18] Hastings-King, Stephen William: Fordism and the Marxist Revolutionary Project: A History of Socialisme ou Barbarie. Unveröffentlichte Dissertation. Ithaca (New York) 1999, S. 6.
[19] Ebd. S. 3.
[20] Vgl. Wolf, Harald: „Die Revolution neu beginnen.“ Über Cornelius Castoriadis und „Socialisme ou Barbarie”. S. 75.
[21] Vgl. Alexander, Robert Jackson: International Trotskyism 1929-1985. A Documented Analysis of the Movement. Durham, London 1991, S. 379.
[22] Vgl. Lefort, Claude: An Interview with Claude Lefort. S. 174. In: Telos, Vol. 30 (Winter 1976/1977), S. 173-192.
[23] Cornelius Castoriadis benutzte u.a. den Pseudonym Pierre Chaulieu, Claude Lefort unterzeichnete seine Texte mit dem „nom de guerre“ Claude Montal. Im Fall von Castoriadis kam neben der üblichen Verfolgung Revolutionärer durch die französische Polizei auch die Gefahr hinzu, aufgrund seiner politischen Tätigkeit ausgewiesen zu werden. Bis er in den 1970er Jahren eingebürgert wurde, unterzeichnete Castoriadis seine in „Socialisme ou Barbarie“ erschienenen Texte neben Pierre Chaulieu auch als Paul Cardan, Jean-Marc Coudray, Barjot, Jean Delveaux und Marc Noiraud. Vgl. Gabler, Andrea: Antizipierte Autonomie. Zur Theorie und Praxis der Gruppe „Socialisme ou Barbarie“ (1949-1967). Hannover 2009, S. 31.
[24] Vgl. Wolf, Harald: „Die Revolution neu beginnen.“ Über Cornelius Castoriadis und „Socialisme ou Barbarie”. S. 77. Mit ihrer Ablehnung der Verteidigung der UdSSR war die „Chaulieu-Montal-Tendance“ jedoch nicht alleine: Trotzkistische Minderheitsströmungen betrachteten immer deutlicher nicht mehr als „Übergangsgesellschaft“, sondern als neues Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem. Beispielsweise bildeten sich in den USA schon 1939 – ein Jahr nach der Gründung der US-amerikanischen Socialist Workers Party als die erste nationale Organisation der IV. Internationale – Fraktionierungen um James Burnham und Max Schachtman und 1940 zur ersten Spaltung. Die Schachtman-Gruppe begriff die UdSSR als bürokratische kollektivistische Klassengesellschaft und propagierte die Bildung eines „dritten Lagers“ gegenüber den West- und Ostblöcken. Hinzu kamen die Fraktion um Ygael Gluckstein (alias Tony Cliff) in Großbritannien und die „Johnson-Forest-Tendency“ in den USA, mit welcher Socialisme ou Barbarie noch Jahre lang zusammen arbeitete. Auch in der PCI gab es mehrere Minderheitsfraktionen, die die orthodox-trotzkistische Analyse der UdSSR in Frage stellten, beispielsweise die Guérin-Lucien-Tendance, die die UdSSR als Staatskapitalismus erklärte oder die Pennetier-Galienne-Tendance. Die IV. Internationale ist am Ende über diese Frage gespalten. Vgl. Gabler, Andrea: Antizipierte Autonomie. Zur Theorie und Praxis der Gruppe „Socialisme ou Barbarie“ (1949-1967). S. 31
[25] Castoriadis, Cornelius: ‚The Only Way to Find Out If You Can Swim Is to Get into the Water‘: An Introductory Interview. S. 3. In: Curtis, David Ames (Hrsg.): The Castoriadis Reader. Malden(Massachusetts) 1997, S. 1-34. [Eigene Übersetzung]. Kominform - „Kommunistisches Informationsbüro“ – war ein zwischen 1947 und 1956 bestehendes Bündnis kommunistischer Parteien verschiedener Länder unter der Führung der KPdSU und die Nachfolgeorganisation der 1943 von Stalin aufgelösten Komintern – „Kommunistische Internationale“.
[26] Vgl. Castoriadis, Cornelius: Warum ich kein Marxist mehr bin. S. 21-22. In: ders.: Vom Sozialismus zur autonomen Gesellschaft. Über den Inhalt des Sozialismus. Ausgewählte Schriften Band 2.1. Lich(Hessen) 2007, S. 19-64.
[27] Vgl. Wolf, Harald: „Die Revolution neu beginnen.“ Über Cornelius Castoriadis und „Socialisme ou Barbarie”. S. 77.
[28] Vgl. Castoriadis, Cornelius: Warum ich kein Marxist mehr bin. S. 21-22.
[29] Trotzki, Leo: Verratene Revolution. Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie? Essen 1990, S. 63.
[30] Ebd.
[31] Ebd. S. 64.
[32] Vgl. Linden, Marcel van der: Von der Oktoberrevolution zu Perestroika. Der westliche Marxismus und die Sowjetunion. Frankfurt a.M. 1992, S. 62.
[33] Trotzki, Leo: Probleme der Entwicklung der UdSSR. In: ders.: Schriften 1. Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur. Hamburg, 1988, S. 301-302. Die Position, dass das stalinistische Regime sich so reformieren lasse, so dass die politische Führung des Landes dem „sozialistischen Charakter der Produktionssphäre“ entspräche, gab Trotzki später zugunsten einer „politischen Revolution“ auf. Vgl. Linden, Marcel van der:  Von der Oktoberrevolution zu Perestroika. Der westliche Marxismus und die Sowjetunion. S. 61-62.
[34] Trotzki, Leo: Verratene Revolution. Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie? S. 64.
[35] „ ‚Für Trotzki‘, konstatierte Pierre Frank zu Recht, ‚ist der Stalinismus ein Unfall, keine dauerhafte Schöpfung der Geschichte‘.“ Linden, Marcel van der: Von der Oktoberrevolution zu Perestroika. Der westliche Marxismus und die Sowjetunion. S. 63.
[36] Castoriadis, Cornelius: Sozialismus oder Barbarei (1949). S. 53.
[37] Ebd.
[38] Ebd. S. 71.
[39] Vgl. Tassis, Theofanis: Cornelius Castoriadis. Eine Disposition der Philosophie. S. 54. Auch wenn die Demokratiefrage für Trotzki keine zentrale Rolle bei der Sozialismusdefinition spielte, war der Erfolg der Planwirtschaft, d.h. des Sozialismus, eng mit Demokratie verbunden: „Demokratie ist […] der einzig denkbare Mechanismus zur Vorbereitung und Verwirklichung des sozialistischen Wirtschaftssystems. Die gegenwärtige Regierung hat die Demokratie in Sowjet, Partei, Gewerkschaften durch Behördendirektiven ersetzt. Aber eine Bürokratie, selbst wenn sie durchweg aus Genies bestünde, könnte von ihren Kanzleien aus nicht das notwendige Gleichgewicht aller Wirtschaftszweige garantieren. Das, was in der stalinistischen Justiz ‚Sabotage‘ genannt wird, ist in Wirklichkeit die unglückselige Folge bürokratischer Kommandomethoden. Disproportion, Verschwendung und Durcheinander, die immer weiter um sich greifen, drohen die Grundlagen der Planwirtschaft zu erschüttern.“ Trotzki, Leo: Folgt die Sowjetunion noch ihren vor zwanzig Jahren aufgestellten Prinzipien? S. 1135-1136. In: ders.: Schriften. Hamburg 1980.
[40] Castoriadis, Cornelius: Sozialismus oder Barbarei (1949). S. 75.
[41] Ebd.
[42] Ebd. S. 77.
[43] Vgl. Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus I. S. 73. In: ders.: Vom Sozialismus zur autonomen Gesellschaft. Über den Inhalt des Sozialismus. Ausgewählte Schriften Band 2.1. Lich (Hessen) 2007, S. 65-93.
[44] Für eine genaue Analyse der Bedeutung des Begriffs „totaler bürokratischer Kapitalismus“, siehe Seite XXX.
[45] Aus Castoriadisscher Sicht stellt der ökonomische Prozess eine Totalität dar, die sich nicht in Produktion und Verteilung trennen lässt. Demnach ist die Art und Weise der Verteilung des Sozialprodukts  mit der Art und Weise seiner Produktion untrennbar verbunden. „Gesellschaftsregime“ ist der Begriff, mit dem Castoriadis jene Art dieser Totalität ausdrückt, die als Instituierung der Gesellschaft über eine einzige Gesellschaft hinausgeht.
[46] Vgl. Castoriadis, Cornelius: On the Regime and against the Defense of the USSR. S. 38. In: Curtis, David Ames (Hrsg.): Cornelius Castoriadis. Political and Social Writings. Volume 1, 1946-1955: From the Critique of Bureaucracy to the Positive Content of Socialism. Minneapolis 1988, S. 37-43.
[47] Vgl. Castoriadis, Cornelius: The Problem of the USSR and the Possibility of a Third Historical Solution. S. 50ff. In: Curtis, David Ames (Hrsg.): Cornelius Castoriadis. Political and Social Writings. Volume 1, 1946-1955: From the Critique of Bureaucracy to the Positive Content of Socialism. Minneapolis 1988, S. 44-55.
[48] „Idealtendenz“ ist ein Begriff, den Castoriadis anlehnend an den weberschen „Idealtypus“ bildete.
[49] Vgl. Castoriadis, Cornelius: Arbeiterräte und selbstverwaltete Gesellschaft. Exemplarischer Entwurf über die Natur der Selbstverwaltung. Hamburg 1974, S. 44ff.
[50] “Yet the fate of the worker and of the population in general, outside production, is not an added characteristic but, rather, an essential component of worker’s situation. Deprived of political, civic, and trade-union rights, forcibly enforced in ‘unions’ that are mere appendages of the State, the Party, and the KGB, subject to permanent police control, to spying inside as well as outside the workplace, constantly harassed by the omnipresent voice of official mendacious propaganda, the Russian working class is subject to an oppressive effort of totalitarian control and mental and physical expropriation […] This situation has no analogy in the ‘classical’ capitalist countries, where very early on the working class was able to wrest some civic, political, and trade-union rights and contest explicitly and overtly the existing social order […] The difference is of capital importance, including from the narrow and abstract point of view of production and the economy. Under the classical capitalist regime the working class explicitly negotiates the level of nominal wages and other, still more important elements of the ‘labour contract’ (the daily, weekly, yearly, and ‘lifetime’ duration of labour, labour conditions, etc.). The ‘labour contract’ is a juridical form – but it is not an empty form, because the working class can struggle, explicitly to change it. Without a class of ‘free’ labourers , in both senses of the term, there might have been a ‘slave capitalism’ or a ‘serf capitalism’ – not capitalism such as it has effectively existed.” Castoriadis, Cornelius: The Social Regime in Russia (1978). S. 222. In: Curtis, David Ames (Hrsg.): The Castoriadis Reader. Oxford, Malden (Massachusetts) 1997, S. 218-238. 
[51] Vgl. Ebd. S. 225-226.
[52] Castoriadis, Cornelius: Arbeiterräte und selbstverwaltete Gesellschaft. S. 24.
[53] Für die ausführliche Erklärung des Begriffs „impliziter Widerstand in der Produktion“, siehe S. XXX.
[54] Vgl. Tassis, Theofanis: Cornelius Castoriadis. Eine Disposition der Philosophie. S. 69ff.
[55] Castoriadis, Cornelius: Arbeiterräte und selbstverwaltete Gesellschaft. S. 20.
[56] Wolf, Harald: „Die Revolution neu beginnen.“ Über Cornelius Castoriadis und „Socialisme ou Barbarie”. S. 76. Vgl. auch: Castoriadis, Cornelius: Einleitung (1972). S. 10 ff. In: Castoriadis, Cornelius: Sozialismus oder Barbarei. Analysen und Aufrufe zur kulturrevolutionären Veränderung. Berlin 1980, S. 9-52.
[57] Dieser Begriff deutet darauf hin, dass nur Organisations- und Handlungsformen wirklich autonom seien, die vom historischen Interesse der Arbeiterklasse ausgehen – eine Vorstellung, die Castoriadis später zugunsten der Autonomie als einer Art nicht innerhalb eines Ursache-Wirkung- bzw. Zweck-Mittel-Schemas verortbares Handeln aufgeben wird. Vgl. Habermas, Jürgen: Exkurs zu C. Castoriadis: „Die imaginäre Institution“. S. 381. In: ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt a.M. 1988, S. 380-389. 
[58] Castoriadis, Cornelius: Einleitung (1972). S. 16.
[59] Vgl. Schluchter, Wolfgang: Aspekte bürokratischer Herrschaft. Studien zur Interpretation der fortschreitenden Industriegesellschaft. Frankfurt a.M. 1985, S. 36 ff.
[60] Marx, Karl: Kritik des Hegelschen Staatsrechts. S. 248-249. In: Marx-Engels-Werke Band 1. Berlin 1977, S. 203-333.
[61] Um einige Beispiele zu nennen: Während August Thalheimer in seiner Faschismusanalyse sich direkt auf die Marxsche Analyse des Bonapartismus bezieht, lässt sich bei Georgi Dimitroff der Patt zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, auf dessen Grundlage die erstere ihre unmittelbare politische Macht zugunsten eines autoritären politischen Systems aufgibt, wieder finden.
[62] Vgl. Schluchter, Wolfgang: Aspekte bürokratischer Herrschaft. S. 68.
[63] Gabler, Andrea: Antizipierte Autonomie. Zur Theorie und Praxis der Gruppe „Socialisme ou Barbarie“ (1949-1967). S. 67.
[64] Vgl. Heins, Volker: Max Weber zur Einführung. Hamburg 2004, S. 68ff.
[65] Ebd. S. 95.
[66] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen 1980, S. 825.
[67] „[…]wenn die bürokratische Verwaltung überall die – ceteris paribus – formal-technisch rationalste ist, so ist sie für die Bedürfnisse der Massenverwaltung (personalen oder sachlichen) heute schlechthin unentrinnbar. Man hat nur die Wahl zwischen ‚Bürokratisierung‘ und ‚Dilettantisierung‘ der Verwaltung.“ Ebd. S. 128.
[68] Ebd. ff.
[69] Ebd. S. 129.
[70] Ebd.
[71] Andrea Gabler behauptet, dass die Unbeliebtheit „bürgerlicher Wissenschaftler“ in marxistischen Kreisen Castoriadis davon abgehalten haben könnte, sich explizit auf Max Weber zu beziehen. Vgl. Gabler, Andrea: Antizipierte Autonomie. Zur Theorie und Praxis der Gruppe „Socialisme ou Barbarie“ (1949-1967). S. 64. Castoriadis bezog sich später offen und positiv auf Weber. Vgl. Castoriadis, Cornelius: Individual, Society, Rationality, History. In: ders.: Philosophy, Politics, Autonomy. Essays in Political Philosophy. S. 47-80.
[72] Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus I. S. 74.
[73] Hastings-King sieht zwischen der Wandlungsfähigkeit des Kapitalismus im Castoriadisschen Konzept und demjenigen der „Regulationsschule“, vor allem des Fordismustheoretikers Michel Aglietta. Vgl. Hastings-King, Stephen William: Fordism and the Marxist Revolutionary Project: A History of Socialisme ou Barbarie. S. 6 ff.
[74] Castoriadis, Cornelius: Die revolutionäre Bewegung im modernen Kapitalismus. S. 58. In: ders.: Vom Sozialismus zur autonomen Gesellschaft. Gesellschaftskritik und Politik nach  Marx. Ausgewählte Schriften Band 2.2. Lich (Hessen) 2008, S. 17-189.
[75] Castoriadis, Cornelius: La société bureaucratique 2. S. 278. Le role de l`ideologie bolshevik dans la naissance de la bureaucratie, Socialisme ou Barbarie, Nr. 35, Januar 1964. Zitiert nach: Tassis, Theofanis: Cornelius Castoriadis: Eine Disposition der Philosophie. S. 75.
[76] Vgl. Castoriadis, Cornelius: The Exploitation of the Peasantry under Bureaucratic Capitalism. In: Curtis, David Ames (Hrsg.): Cornelius Castoriadis. Political and Social Writings. Volume 1, 1946-1955: From the Critique of Bureaucracy to the Positive Content of Socialism. Minneapolis 1988, S. 159-178.
[77] Gabler, Andrea: Antizipierte Autonomie. Zur Theorie und Praxis der Gruppe „Socialisme ou Barbarie“ (1949-1967). S. 40.
[78] Vgl. Castoriadis, Cornelius: Khrushchev and the Decomposition of Bureaucratic Ideology. S. 42. In: Curtis, David Ames (Hrsg.): Cornelius Castoriadis. Political and Social Writings. Volume 2, 1955-1960: From the Workers Struggle Against Bureaucracy to Revolution in the Age of Modern Capitalism. Minneapolis 1988, S. 38-47. Vgl. auch Hastings-King, Stephen William: Fordism and the Marxist Revolutionary Project: A History of Socialisme ou Barbarie. S. 69.
[79] Castoriadis, Cornelius: Die revolutionäre Bewegung im modernen Kapitalismus. S. 19.
[80] Ebd. S. 20.
[81] Vgl. Rödel, Ulrich: Von der Totalitarismustheorie zur Demokratietheorie. Claude Lefort und Cornelius Castoriadis. S. 213. In: Söllner, Alfons (Hrsg.): Totalitarismus: Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts. Berlin 1997, S. 208-219.
[82] Vgl. Castoriadis, Cornelius: Welche Demokratie? S. 78. In: ders.: Autonomie oder Barbarei. Ausgewählte Schriften. Band 1. Lich (Hessen) 2006, S. 69-111. „Vor jeder Diskussion der Frage ‚direkte oder repräsentative Demokratie‘ ist also festzuhalten, dass die aktuelle ‚Demokratie‘ alles mögliche ist, nur keine Demokratie, denn die öffentlich/öffentliche Sphäre ist faktisch privat, sie befindet sich in Besitz der politischen Oligarchie und nicht der Bürgerschaft.“ Ebd.
[83] Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus II. S. 105. In: ders.: Vom Sozialismus zur autonomen Gesellschaft. Über den Inhalt des Sozialismus. Ausgewählte Schriften Band 2.1. Lich (Hessen) 2007, S. 95-186.
[84] Vgl. Hastings-King, Stephen William: Fordism and the Marxist Revolutionary Project: A History of Socialisme ou Barbarie. S. 70ff. Hastings-King stützt seine Darstellung auf die ihm zugänglichen Vortragsmanuskripte von Castoriadis in der „Kapital“-Diskussion der Socialisme ou Barbarie im Jahre 1950-51.
[85] Vgl. Ebd. Bei der folgenden Passage bediene ich mich der Hastings-Kings Schilderung von Castoriadis‘ „Kapital“-Vorträgen.
[86] Vgl. Ebd. S. 72.
[87] Arnason, Johann P.: Praxis und Interpretation. Sozialphilosophische Studien. Frankfurt a.M. 1988, S. 249.
[88] Daniel Mothé, ein in Renault-Billancourt arbeitendes Mitglied der Socialisme ou Barbarie, das an der Theoriebildung der Gruppe keine unwesentliche Rolle spielte, schrieb: „Wenn Sie […] an die Rationalisierung der Handarbeit geglaubt haben, wird sie ein Gang durch die Werkstatt augenblicklich jede Illusion darüber verlieren lassen.“ Mothé, Daniel: L’usine et la gestion ouvrière. S. 78. In: Socialisme ou Barbarie 22 (Juli-September 1957), S. 75-111. Und: “Wenn die Direktion ein rationelles Schema der Fabrik präsentiert, ist jedermann geneigt, es als wahr anzusehen. Was für uns jedoch wahrnehmbar ist, ist jedenfalls anders. Unsere Werkstatt erscheint auf einem guten Platz auf diesem Schema, nach unserer Einschätzung ist es jedoch schwer, von Rationalität zu reden, was wir wahrnehmen, ist die Negation jedes organisierten Plans, mit anderen Worten das, was wir ‚die große Unordnung‘ nennen.“ Ebd. (beides zitiert nach: Gabler, Andea: Die Despotie der Fabrik und der Vor-Schein der Freiheit. Von „Socialisme ou Barbarie“ gesammelte Zeugnisse aus dem fordistischen Arbeitsalltag. S. 362. In: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, Nr. 21 (2001), S. 349-378.
[89] Arnason, Johann P.: Praxis und Interpretation. S. 249.
[90] Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus III. S. 192. In: ders.: Vom Sozialismus zur autonomen Gesellschaft. Über den Inhalt des Sozialismus. Ausgewählte Schriften Band 2.1. Lich (Hessen) 2007, S. 187-242.
[91] Ebd.
[92] Castoriadis behauptet, dass die Entwicklung revolutionärer Theorie und Praxis auf eine immanente Schwierigkeit stößt, nämlich angesichts neuer Probleme Unbekanntes auf Bekanntes reduziert – wie es für Theorie gängig ist – und somit Gefahr läuft, ins bürgerliche Denken zurückzufallen. Der Marxismus sei besonders anfällig, was diese Gefahr betrifft, und bleibe im erheblichen Maße dem ideologischen Erbe des Bürgertums verpflichtet. Vgl. Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus I. S. 76-77.
[93] Vgl. Ebd. S. 75 ff.
[94] Vgl. Castoriadis, Cornelius: Die revolutionäre Bewegung im modernen Kapitalismus.
[95] Ebd. S. 21.
[96] Ebd. S. 20.
[97] Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus III. S. 191.
[98] Ebd.
[99] Ebd. S. 192. (Hervorhebung im Original).
[100] Ebd. S. 204.
[101] Ebd. S. 203.
[102] Ebd.
[103] Ebd. S. 209.
[104] Castoriadis, Cornelius: Die revolutionäre Bewegung im modernen Kapitalismus. S. 62.
[105] Ebd.
[106] Ebd.
[107] Schon bereits 1955 schreibt Castoriadis: „Der Sozialismus ist nichts anderes als die bewusste und dauerhafte Selbstverwaltung der Massen.“ Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus I. S. 74. Weiter heißt es im 1957 geschriebenen zweiten Teil des Aufsatzes: „Sozialismus heißt Autonomie, heißt, dass die Menschen die bewussten Lenker ihres eigenen Lebens sind. Der Kapitalismus – der private wie der bürokratische – ist die Negation dieser Autonomie, und seine Krise rührt daher, dass er notgedrungen in den Menschen das Streben nach Autonomie erzeugt, während er gleichzeitig gezwungen ist, es zu unterdrücken.“ Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus II. S. 97.
[108] Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus I. S. 75.
[109] Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus II. S. 102.
[110] Ebd.
[111] Ebd. S. 103.
[112] Ebd. S. 106.
[113] Ebd. S. 107.
[114] Ebd. S. 109ff.
[115] Ebd. S. 96.
[116] „Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportionell; die Gleichheit besteht darin, daß an gleichem Maßstab, der Arbeit, gemessen wird. Der eine ist aber physisch oder geistig dem andern überlegen, liefert also in derselben Zeit mehr Arbeit oder kann während mehr Zeit arbeiten; und die Arbeit, um als Maß zu dienen, muß der Ausdehnung oder der Intensität nach bestimmt werden, sonst hörte sie auf, Maßstab zu sein. Dies gleiche Recht ist ungleiches Recht für ungleiche Arbeit. Es erkennt keine Klassenunterschiede an, weil jeder nur Arbeiter ist wie der andre; aber es erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit der Arbeiter als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht. Das Recht kann seiner Natur nach nur in Anwendung von gleichem Maßstab bestehn; aber die ungleichen Individuen (und sie wären nicht verschiedne Individuen, wenn sie nicht ungleiche wären) sind nur an gleichem Maßstab meßbar, soweit man sie unter einen gleichen Gesichtspunkt bringt, sie nur von einer bestimmten Seite faßt, z.B. im gegebnen Fall sie nur als Arbeiter betrachtet und weiter nichts in ihnen sieht, von allem andern absieht. Ferner: Ein Arbeiter ist verheiratet, der andre nicht; einer hat mehr Kinder als der andre etc. etc. Bei gleicher Arbeitsleistung und daher gleichem Anteil an dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds erhält also der eine faktisch mehr als der andre, ist der eine reicher als der andre etc. Um alle diese Mißstände zu vermeiden, müßte das Recht, statt gleich, vielmehr ungleich sein. Aber diese Mißstände sind unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist. Das Recht kann nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft.“ (Marx, Karl: Kritik des Gothaer Programms. In: Marx-Engels-Werke Band 19. Berlin 1973, S. 20-21.)
[117] Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus I. S. 77.
[118] Gerade die Forderung nach absoluter Lohngleichheit zeigt, dass Castoriadis nicht nur nach idealen Prinzipien einer in weiter Zukunft liegender Utopie sucht, sondern nach in einer nachrevolutionären Gesellschaft umsetzbaren Prinzipien, die mehr Autonomie ermöglichen würden.
[119] Castoriadis, Cornelius: Über den Inhalt des Sozialismus II. S. 114-115.
[120] Castoriadis sah nicht die „objektiven Bedingungen“, sondern das autonome (politische) Agieren als das Krisenmoment des Kapitalismus und definierte letzteres als die zentrale Frage der revolutionären Theorie. Hastings-King schreibt dazu: „This position marks Socialisme ou Barbarie’s definitive break with dialectical Marx. In its place. Socialisme ou Barbarie began to develop a variant of historical materialism. Socialisme ou Barbarie conceived of working-class actions as practical demonstrations of how the workers understood their situation and the possibilities for radical political transformation. Revolutionary theory had to closely analyze these actions, to make explicit connections between them and every day struggles at the point of production, to critically assess them at the level of self-organization, and to draw out the radical implication of demands they might generate.” (Hastings-King, Stephen William: Fordism and the Marxist Revolutionary Project: A History of Socialisme ou Barbarie. S. 114.)
[121] „Man mag das bedauern oder auch nicht, jedenfalls bedeutet Sozialismus heute für die überwältigende Mehrheit der Menschen das in Russland und ähnlichen Ländern errichtete Regime – der „real existierende Sozialismus“, wie Breschnew ihn so treffend genannt hat: ein Regime, das Ausbeutung, Unterdrückung, totalitären Terror und kulturelle Verblödung in einem in der Menschheitsgeschichte noch nicht erreichtem Ausmaß bewerkstelligt. Ansonsten sind die von den Herren Mitterand, Schmidt, Callaghan und Konsorten angeführten Parteien sozialistisch, sprich, die ‚politischen‘ Zahnräder der bestehenden Ordnung in den westlichen Ländern. Diese massiven Realitäten lassen sich nicht mit etymologischen und semantischen Unterscheidungen bekämpfen. (Castoriadis, Cornelius: Sozialismus und Autonome Gesellschaft. S. 191. In: ders.: Vom Sozialismus zur autonomen Gesellschaft. Gesellschaftskritik und Politik nach  Marx. Ausgewählte Schriften Band 2.2. Lich (Hessen) 2008, S. 191-219.)
[122] Ebd. S. 192-193.
[123] Castoriadis vertrat in dieser Debatte, in der es um den Aufbau einer landesweit agierenden revolutionären Organisation ging, die Notwendigkeit einer strengen Organisation, die sich in Zellen nach Beschäftigungssektoren aufspalten und auf kollektiver Disziplin beruhen soll, während die Fraktion um Claude Lefort diese Vorstellung ablehnte und eine dezentral aufgebaute Organisation mit autonom agierenden Arbeiter- und Angestelltengruppen forderte. Für eine genauere Schilderung der Diskussion und der darauf folgenden Spaltung von Socialisme ou Barbarie, siehe: Gabler, Andrea: Arbeitsanalyse und Selbstbestimmung. Zur Bedeutung und Aktualität von „Socialisme ou Barbarie“. S. 44ff.
[124] Vgl. ebd. S.49.
[125] Die neue Verfassung, die die Kompetenzen der Staatsorgane stärker gegeneinander abgrenzt und die Stellung des Präsidenten eindeutig stärkt, erhält mir 80 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von ca. 85 % eine klare Zustimmung. Vgl. Rémond, René: Frankreich im 20. Jahrhundert. Band 2: 1958 bis zur Gegenwart. Stuttgart 1995, S. 16ff.
[126] „Alles, aber auch alles in der Arbeiterbewegung (Ideologie, Parteien, Gewerkschaften, etc.) ist unwiderruflich und unwiderbringlich[sic!] am Ende angelangt, verrottet, integriert in die Ausbeutergesellschaft. Da gibt es keine wunderbare Heilung. Alles muss, um den Preis langer und geduldiger Arbeit, ganz neu aufgebaut werden.“ (Castoriadis, Cornelius: Postskript zur Neudefinition der Revolution. Hamburg 1974, S. 49.)
[127] Castoriadis, Cornelius: Die revolutionäre Bewegung im modernen Kapitalismus. S. 128.
[128] Vgl. Castoriadis, Cornelius: Warum ich kein Marxist mehr bin? S. 36. Als weiteren Grund gibt Castoriadis das Fehlen der harmonischen Zusammenarbeit zwischen der ersten Generation, die aus vorwiegend proletarischen und Angestelltenmilieus stammt, und der letzten Generation, die überwiegend aus bürgerlichen, intellektuellen Kreisen stammt, an. (Vgl. ebd. S. 37.)